Künstlerische Darstellung des Gateways mit gezündetem elektrischem Antrieb. © NASA

Einmal volltanken, bitte!

Warum das European Refuelling Module ein „Gamechanger“  für Explorationsmissionen ist

Autos brauchen Treibstoff, Satelliten und Raumschiffe auch. Die Tankstelleninfrastruktur ist auf der Erde allerdings deutlich besser als im Weltall. Oder anders formuliert: Im Weltall gibt es keine Tankstellen. Das bedeutet, dass die Lebensdauer von Satelliten und die Reichweite von Raumschiffen in erster Linie von der Menge an von der Erde mitgebrachtem Treibstoff abhängen. Um das zu ändern und zukünftig nachhaltige Explorationsmissionen zu weiter entfernten Zielen zu ermöglichen, steuert die ESA ein spezielles Modul zur geplanten Raumstation Lunar Gateway bei: das "European System Providing Refuelling, Infrastructure and Telecommunications", oder kurz ESPRIT.

Bei Flugzeugen ist die Wiederbetankung in der Luft zumindest im militärischen Kontext seit Jahrzehnten gängige Praxis, im Weltraum ist ein solches Vorhaben immer noch Neuland und stellt für einige Treibstoffe eine Weltneuheit dar. Die bisherigen Erfahrungen beschränken sich auf einige Technologieexperimente sowie die Betankung der ISS mittels ATV und Progress-Frachtern im Rahmen des routinemäßigen Stationsbetriebs — für astronautische Explorationsmissionen zu weiter entfernten Zielen im Sonnensystem ist die Technologie aber von großer strategischer Bedeutung. Während der Flug zum Mond noch relativ leicht mit einer einzigen Tankfüllung zu bewerkstelligen ist, sind interplanetare Reisen ohne die Möglichkeit zur Wiederbetankung kaum möglich. Denn: Treibstoff ist schwer. Schon bei einer Mission zum Mars, einem der nächsten Nachbarplaneten der Erde, kann die Masse des benötigten Treibstoffs leicht mehr als die Hälfte der Startmasse des Raumschiffs betragen — berücksichtigt man dann noch Lande- und Startmanöver sowie die Rückkehr zur Erde, wird eine solche Mission schnell undurchführbar. Die Reise in mehreren Etappen mit Betankungsstopps planen zu können, wäre deshalb ein absoluter „Gamechanger“.

Chemischer Antrieb, elektrischer Antrieb

Um die Wiederbetankung im Weltraum zu demonstrieren und die Technologie auf das für interplanetare Reisen benötigte Reifelevel zu bringen, soll die im Mondorbit geplante Raumstation Lunar Gateway als Testumgebung genutzt werden. Zur Lageregelung und Orbitkontrolle wird das Gateway über zwei verschiedene Antriebssysteme verfügen: Einerseits über einen schubstarken chemischen Antrieb und andererseits über einen schwächeren, aber energieeffizienteren elektrischen Antrieb. Konkret handelt es sich bei diesem um einen Hall-Effekt-Antrieb. Wie bei anderen Ionentriebwerken auch, basiert die Funktionsweise des Hall-Effekt-Antriebs auf der Ionisierung von Gasteilchen, die zur Schuberzeugung anschließend in einem elektrischen Feld beschleunigt und letztlich in Form eines Strahls ausgestoßen werden.

Es ist tatsächlich der Ionenantrieb, der es überhaupt ermöglichen wird, die ehrgeizigen Forschungsziele des Artemis-Programms zu erreichen, denn nur mit diesem kann das Gateway zwischen Umlaufbahnen im Erde-Mond-Raum transferiert und im anvisierten Zielorbit stabilisiert werden. Bei diesem handelt es sich um einen sogenannten „Near-Rectilinear Halo Orbit“ (NRHO), eine stark exzentrische Umlaufbahn, die das Gateway einerseits nahe an den Mond bringt, andererseits aber auch weite Schlaufen in größerer Entfernung machen lässt. Die Vorteile dieser Umlaufbahn liegen auf der Hand: Am mondnahen Punkt kann das Gateway leicht von Mondfähren angeflogen werden und am mondfernsten Punkt können Transporter von der Erde ohne große Mühe anlegen. Zudem verschwindet das Gateway im NRHO nie komplett hinter dem Mond, was den Funkkontakt mit der Erde erleichtert.

Um die Lebensdauer des Gateway im Mondorbit zu verlängern, ist für beide Arten der verwendeten Triebwerke die Wiederbetankung vorgesehen. Entsprechend benötigt die Raumstation zwei verschiedene Betankungssysteme: eines für die Betankung des chemischen Antriebs mit Hydrazin und ein weiteres für die Betankung des elektrischen Antriebs mit Xenon. Ersteres wird unter dem Namen „Bipropellant Transfer System“ (BTS) von Thales Alenia Space in Großbritannien beigesteuert, letzteres wird als „Xenon Transfer System“ (XTS) von OHB in Bremen entwickelt. Beide Systeme werden am Ende ihren Platz im „European Refueller Module“ (ERM) finden, das wiederum ein Teil des ESPRIT-Moduls ist.

Xenon – das fremde Gas

Xenon ist ein einatomiges farb- und geruchloses Gas. Als es 1898 von zwei englischen Chemikern entdeckt wurde, war es das bis dahin seltenste der bekannten Edelgase. Diese Tatsache spiegelt sich unmittelbar in seinem Namen wider, der auf dem griechischen Wort „xénos“ für „Fremder“ basiert. Xenon eignet sich sehr gut als Treibstoff für Ionenantriebe. Es benötigt relativ geringe Ionisierungsenergien, ist ungiftig und zudem reaktionsträge, was dazu führt, dass die metallischen Bauteile des Antriebs wenig bis gar nicht korrodieren. Bei den ersten Versuchen mit Ionenantrieben in den 1960er Jahren wurden noch Cäsium oder Quecksilber als Treibstoff verwendet, welche massive Korrosion hervorriefen.

Trotzdem ist die Entwicklung des XTS alles andere als einfach. Dafür ist in erster Linie das thermische Verhalten von Xenon verantwortlich. Fließgeschwindigkeit, Druck und Temperatur des Gases sind eng miteinander gekoppelt, was dazu führt, dass bei einem ungeregelten Tankvorgang extreme Temperaturschwankungen auftreten können. Zwar ist es durchaus möglich, Xenon auch ohne ausgefeilte Technik von einem Tank in einen anderen zu transferieren, allerdings müsste man dafür einige Monate einplanen, da das Gas bei einem zu schnellen Transfer dazu neigt, sich stark zu erhitzen.

OHB und das XTS

Um diese unkontrollierte Erhitzung zu vermeiden, besteht das Herzstück des XTS aus einem thermischen Kompressor. Der nimmt das gasförmige Xenon auf und kühlt es zunächst soweit ab, dass es sich teilweise verflüssigt. Hat sich ausreichend flüssiges Xenon angesammelt, wird es wieder erhitzt. Dadurch dehnt es sich aus, verdampft und der Druck steigt. Bei Erreichen eines bestimmten Drucks wird ein Ventil geöffnet und der Kompressor entlädt sich. Klingt in der Theorie nicht allzu komplex, erfordert in der Praxis jedoch einen überaus komplizierten Aufbau aus Ventilen mit unterschiedlichen Funktionen, Filtern, Druck- und Temperatursensoren, einem Wärmetauscher und vielem mehr. Einige der benötigten Teile müssen erst noch zur nötigen technologischen Reife gebracht werden, andere werden seriengefertigt.

Die Strategie dabei ist klar: Das ESPRIT-Team arbeitet sich langsam vor und baut XTS-Modelle steigender Komplexität — angefangen mit einem sogenannten Breadboard, welches überwiegend noch aus nicht weltraumtauglichen Bauteilen besteht. Erst nach dem Test eines aufwändigeren Modells mit teilweise schon weiterentwickelten Komponenten beginnt die Fertigung des tatsächlichen Flugmodells. Das von Thales Alenia Space in Frankreich verantwortete ERM, zu dem OHB neben dem XTS auch die drucklose Struktur beisteuert, soll dann auf der NASA-Mission Artemis 5 (offiziell Artemis V) begleitet von einer vierköpfigen Besatzung zum Gateway gebracht und dort angedockt werden. Der Zeitplan? Ein Start im Jahre 2028.

Das große Ganze

Mit der Entwicklung des XTS unterstützt OHB nicht nur den Fortschritt von Forschung und Wissenschaft, sondern auch das von der NASA ausgegebene Ziel einer nachhaltigen Mondkampagne und der Erprobung von Technologien für einen ersten Flug von Menschen zum Mars. Während viele Komponenten der Gateway-Architektur einfach nur Infrastruktur bereitstellen, die es so oder in ähnlicher Form schon auf der ISS gibt, stellt das XTS ein absolutes Novum dar — und könnte am Ende als Spin-Off auch das Satellitengeschäft bereichern. Elektrische Antriebe werden auch in kommerziellen erdnahen Anwendungen gern nutzt. Nachhaltigkeit ist auch hier ein Thema und das Wiederbetanken von Satelliten kein unattraktiver Gedanke.

Mehr zum Lunar Gateway und zu den Artemis-Missionen in Teil 1 unserer Story.