Wie kann die Erde vom Weltraum aus beschattet werden? An der TU Delft erarbeiten Studierende derzeit Missionskonzepte für weltraumbasiertes Geoengineering.

"Um zu entscheiden, ob Geoengineering eingesetzt werden soll oder nicht, brauchen wir Fakten"

Politische Entscheidungen zum Thema Geoengineering müssen auf einer belastbaren Datengrundlage beruhen – und diese kann nur durch entsprechende Untersuchungen gewonnen werden

Jeannette Heiligers ist Assistenzprofessorin an der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Delft in den Niederlanden. Sie hat einen Masterabschluss in Luft- und Raumfahrttechnik und hält einen Doktortitel von der University of Strathclyde in Glasgow, Schottland. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Orbitaldynamik und das Design von Raumfahrtmissionen mit besonderem Fokus auf der Nutzung von Solarsegeln als Antrieb für Raumfahrzeuge. Als Teil ihres Lehrauftrags unterrichtet sie Bachelor- und Masterstudenten der TU Delft in Astrodynamik und betreut zwei Studierendenprojekte, die zu dem von OHB gegründeten Kompetenznetzwerk zum Thema Geoengineering beitragen.

Frau Heiligers, was ist die Verbindung zwischen Ihrer Forschung und weltraumbasiertem Geoengineering?

Jeannette Heiligers: Solarsegel bestehen aus einer extrem dünnen, hochreflektierende Membran, die an der Raumsonde befestigt wird. Die Fläche dieser Membran ist sehr groß und sie funktioniert wie ein sehr dünner Spiegel, der die von der Sonne kommenden Photonen reflektiert. Die reflektierten Photonen erzeugen eine Kraft auf das Raumfahrzeug, wodurch es beschleunigt und durch den Raum manövriert werden kann. Dieser Effekt tritt im Prinzip an allen Raumfahrzeugen auf und verursacht bei traditionellen Missionen Bahnstörungen, die unter Einsatz von Schubkraft kompensiert werden müssen. Und damit kommen wir zur Verbindung zwischen meiner Forschung und weltraumbasiertem Geoengineering: Weltraumbasiertes Geoengineering zielt darauf ab, die Erde vom Weltraum aus zu beschatten. Und wenn eine solche Beschattung einen signifikanten Kühleffekt haben soll, kommen zwangsweise Strukturen mit sehr großen Flächen ins Spiel. Die durch die von der Sonne kommenden Photonen erzeugte Kraft skaliert aber mit der Fläche, was bedeutet, dass diese eine große Rolle für die Bahndynamik eines im Weltraum installierten Sonnenschutzes spielen wird – selbst dann, wenn dessen Fläche auf mehrere Raumfahrzeuge verteilt wird.

Würden die von der Sonne kommenden Photonen einen Sonnenschirm im Weltall negativ beeinflussen oder kann man den Effekt irgendwie ausnutzen?

Das ist im Vorfeld gar nicht so leicht zu sagen. Sicher ist aber, dass der Solardruck bei der Entwicklung eines Missionskonzeptes für weltraumbasiertes Geoengineering berücksichtigt werden muss. Und dann werden wir sehen müssen, ob wir den Effekt irgendwie für uns nutzen können oder ob er gegen uns wirkt. Es wäre aber definitiv ein klarer Vorteil, wenn wir den Effekt ausnutzen könnten. Solarsegel sind nicht nur eine sehr grüne und nachhaltige Form des Antriebs, sondern kommen auch völlig ohne Treibstoff aus. Für viele heutige Missionen stellt die endliche Menge an Treibstoff, die das Raumfahrzeug an Bord nehmen kann, einen limitierenden Faktor dar. Wenn dieser Treibstoff aufgebraucht ist, ist das Raumfahrzeug manövrierunfähig und kann sich nicht mehr eigenständig fortbewegen.

Wie kam es zur Beteiligung an dem von OHB gegründeten Konsortium?

Tomas Hamann, der Projektleiter bei OHB, ist mit der Idee des Konsortiums an unsere Abteilungssekretärin herangetreten und aufgrund der Ähnlichkeit zwischen meiner Forschung und dem im Konsortium vorgeschlagenen Konzept zur Beschattung der Erde aus dem Weltall hat sie sich dann mit mir in Verbindung gesetzt.

Wie sieht der Beitrag der TU Delft zum Konsortium konkret aus?

Aktuell laufen zwei Studierendenprojekte, die direkt mit dem Konsortium zu tun haben. Das eine ist ein Abschlussprojekt, in dem zehn Studierende elf Wochen lang in Vollzeit an einem kompletten Missionsdesign für ein weltraumgestütztes Geoengineeringkonzept arbeiten. Wir bezeichnen diese Art von Projekt als Design Synthesis Exercise und die Studierenden erreichen damit ihren Bachelorabschluss. Das zweite Projekt ist eine Masterarbeit. Ich betreue den Studenten bei der Erarbeitung seiner Thesis und er wird zudem auch von Joan-Pau Sanchez von der Cranfield University unterstützt, der ebenfalls Teil des Konsortiums ist.

An welchen Aspekten arbeiten die Studierenden?

An der Design Synthesis Exercise arbeiten die Studierenden als Gruppe und erarbeiten ein vollständiges Missionsdesign für einen Sonnenschild im Weltraum. Die Rahmenbedingungen werden durch das Konsortium vorgegeben, wobei OHB als Auftraggeber fungiert. Für die Dauer des Projekts bilden die Studierenden ein klassisches Projektteam und beschäftigen sich mit allen Aspekten des Missionsszenarios. Dazu gehört auch, dass sie sich eigenständig organisatorische und technische Rollen zuteilen – dazu zählen unter anderem die Rollen als Projektleiter:in oder Systemingenieur:in, aber zum Beispiel auch Spezialist:innenrollen mit Fokus auf dem Antriebssystem, dem Thermalsystem oder dem Kommunikationssystem. Die Studierenden durchlaufen alle Schritte, die das Missionsdesign echter Missionen auch durchläuft, allerdings in sehr komprimierter Form. Die Idee ist, dass die Studierenden am Ende der elf Wochen ein komplettes Missionsdesign haben – vom Raumfahrzeug selbst über die Orbitaldynamik, den Start und das End-of-Life-Szenario bis hin zum Nachhaltigkeitsansatz.

Und der Master-Student?

Der Masterstudent konzentriert sich auf die Bahndynamik eines in der Nähe des Lagrange-Punktes L1 platzierten Sonnenschildes, so wie er im Konsortium vorgeschlagen wird. Er versucht, eine Flugbahn zu finden, die genau zur gewünschten Abschattung der Erde führt. Dabei ist er natürlich sehr auf den Input des Konsortiums angewiesen. Wir stehen in engem Kontakt mit Gerrit Lohmann vom Alfred-Wegener-Institut, der uns Informationen dazu liefert, welche Teile der Erde idealerweise abgeschattet werden sollten und welche nicht. Und natürlich gibt der Student im Gegenzug seine Ergebnisse an Gerrit Lohmann weiter, damit dieser sie in seine Klimamodelle einfließen lassen kann, um zu sehen, welche Auswirkungen verschiedene Beschattungsmuster haben.

Stehen die Studierenden auch in Kontakt mit dem Projektteam bei OHB?

Ja, die das Team aus dem Bachelor hatten gerade ein Kick-off-Meeting mit dem Projektteam bei OHB. Dabei wurden das Projekt und einige der Anforderungen besprochen. Und ich hoffe auch, dass OHB an Meilensteinen des Projekts beteiligt sein wird. Es gibt verschiedene Reviews zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Projektes, bei denen die Studierenden ihren Fortschritt präsentieren und OHB als Kunde Feedback geben kann. Und natürlich wird es während des Projekts auch Treffen mit dem Konsortium geben und ich hoffe, dass ein oder zwei Vertreter des Studierendenteams daran teilnehmen und etwas von ihrer Arbeit präsentieren werden.

Haben Sie auch ein persönliches Interesse an Geoengineering?

Der Klimawandel ist zweifelsohne eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit aktuell steht. Und die Frage ist, ob die bisher ergriffenen Maßnahmen ausreichen und schnell genug Wirkung zeigen. Wenn nicht, müssen wir vielleicht zu härteren Methoden greifen. Es wurden bereits diverse Geoengineeringkonzepte vorgeschlagen, die ohne Ausnahme enorme technische Herausforderungen mit sich bringen. Und solche großen technischen Herausforderungen zu lösen – oder zumindest zu versuchen, zu einer Lösung beizutragen – hat einen besonderen Reiz, das ist einer der Gründe, warum ich Ingenieurin geworden bin. Und in diesem Fall ist die technische Herausforderung noch einmal interessanter, da sie eng mit einem großen gesellschaftlichen Problem verbunden ist.

Denken Sie, dass Geoengineering umgesetzt werden sollte?

Letztlich sind wir, die Ingenieur:innen, die Klimaforscher:innen, die Biolog:innen, die Philosoph:innen, nicht diejenigen, die entscheiden, ob ein Geoengineeringkonzept umgesetzt wird oder nicht. Das liegt in den Händen der Politiker:innen. Aber ich denke, wir sollten zumindest versuchen, dazu beizutragen, Daten zu produzieren und Fakten zu schaffen – auch wenn die Ergebnisse zeigen, dass ein Konzept nicht machbar ist oder dass die Nebenwirkungen den Nutzen überwiegen. Wenn wir keine Untersuchungen machen, wissen wir gar nichts. Und um zu entscheiden, ob Geoengineering eingesetzt werden sollte oder nicht, brauchen wir Fakten. Wenn die Politiker:innen eine Entscheidung treffen müssen, dann müssen alle Untersuchungen durchgeführt worden sein und alle Fakten vorliegen.