In Deutschland und Europa entwickelt sich die kommerzielle Raumfahrt erst, in den USA hebt sie schon ab ... © SpaceX

„Die Raumfahrt in Europa war immer schon anders als in Amerika“

Hans-Jörg Königsmann studierte Luft- und Raumfahrtechnik an der TU Berlin und promovierte an der Universität Bremen. Als junger Raumfahrtingenieur arbeitete er am ZARM in Bremen und war unter anderem für das technische Programmmanagement des Kleinsatellitenprojektes BremSat verantwortlich, das damals in enger Kooperation mit OHB realisiert wurde. Nach Abschluss des Projektes ging Königsmann in die USA. Von 2011 bis 2021 war er dort als Vice President of Mission Assurance bei Space X tätig. Im Interview erklärt er, was die USA anders machen als Europa und wie Space X zu dem Unternehmen geworden ist, das in der Raumfahrtbranche Maßstäbe setzt.

Herr Königsmann, Sie haben vor 20 Jahren bei einem Startup namens Space X angefangen. Heute ist Space X die Raumfahrtfirma, die die Branche vor sich hertreibt. Gibt es ein Geheimnis des Erfolgs?

Königsmann: Wenn es ein Geheimnis gibt, dann ist es sicher unsere Startup-Mentalität, die wir uns über die Jahre erhalten haben. Vom Aufbau her waren und sind wir ein innovatives Unternehmen. Das heißt: Wir gehen immer zur Basis der Sache und entwickeln dann was Neues statt uns auf Lösungen zu berufen, die sich in der Industrie bewährt haben. Die Gefahr dabei ist nämlich, dass man nicht mehr darüber nachdenkt, ob diese Lösungen gut genug sind. Dazu kommt noch, dass wir neben einigen wenigen erfahrenen Leuten auf viele junge, weniger erfahrene Leute gesetzt haben, die direkt von der Uni und auch aus ganz anderen Industrien als der Raumfahrt kamen.

Wie sehr hat es Space X geholfen, dass die Anfangsjahre des Unternehmens in die Zeit fielen, als die NASA ihre Raumfahrtpolitik hin zu mehr kommerziellen Anreizen geändert hat?

Die NASA hatte immer mal wieder versucht, kommerzielle Anreize zu fördern. Aber ich denke schon, dass es Space X sehr geholfen hat, dass Anfang der 2000er Jahre mehr kommerzielle Förderung in den USA in der Raumfahrt stattgefunden hat. Entscheidend war aber, dass wir mit unserem ersten kommerziellen Auftrag der NASA auch gleich erfolgreich waren.

In Europa läuft es ja nach wie vor anders. Alles ist regulierter, bürokratischer, weniger kommerziell. Ist das ein Nachteil aus Ihrer Sicht für den weltweiten Wettbewerb in der Raumfahrt?

Zum einen ist es so, dass die Raumfahrt in Europa immer schon anders war als in Amerika. Ein Aspekt ist, dass Raumfahrt in Europa immer ein völkerverständigendes Element hatte, und man wollte die Länder durch Kooperation zusammenbringen. Das war auch sehr erfolgreich, und ich habe das immer sehr unterstützt. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass dieser Weg nicht immer dazu geführt hat, die besten Raketen zu bauen, zumindest nicht mehr in den letzten Jahren. Deshalb müsste sich von den Rahmenbedingungen schon einiges ändern, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Ein Aspekt ist, dass Raumfahrt in Europa immer ein völkerverständigendes Element hatte, und man wollte die Länder durch Kooperation zusammenbringen.

Was müsste denn passieren, damit Europa wettbewerbsfähiger wird?

Zum einen müsste Europa auf wiederverwendbare Launcher setzen. Der Zug ist jedoch längst abgefahren. Zudem müsste die kommerzielle Seite deutlich stärker gefördert werden, damit eben auch Startups in die Entwicklung größerer Raketen einsteigen. Das wäre ein Schritt, der in den nächsten Jahren passieren kann.

Wäre Space X in Europa so erfolgreich geworden?

Ich glaube das schon. In Europa gibt es sehr gute Ingenieurinnen und Ingenieure – und mit Elon Musk hatten wir einen Investor, der das Geld am Anfang bereitgestellt hat. Deshalb sehe ich keinen Grund, weshalb wir nicht auch in Europa ähnlich erfolgreich gewesen wären.

Wieso gibt es in Europa keinen Elon Musk?

Elon ist nach Amerika gegangen, weil er dort seine Ideen verwirklichen konnte. Hätte es eine Chance gegeben, das in Deutschland auch so zu verwirklichen, vielleicht hätte er sich das sogar überlegt. Ein fundamentaler Unterschied ist, dass es sehr viel einfacher ist, in den USA Finanzierungen für Projekte zu bekommen. Das Potenzial für Leute, die in innovativen Unternehmen arbeiten, ist einfach größer. Und so abgedroschen das klingen mag: aber der Spirit des Silicon Valley ist einfach in der Form einmalig auf der Welt und ist deshalb nicht zu ersetzen. Dieser Erfinder- und Machergeist ist über Jahrzehnte gewachsen. Das kann man auch mit staatlichem Geld nicht herstellen. Das muss man erlauben und sich entwickeln lassen. Und das ist im Valley passiert.

Wie sehen Sie denn die Entwicklung Richtung kommerzielle Raumfahrt in Deutschland und Europa?

Es sind erste Anfänge, hier wird versucht, einiges zu imitieren …

… imitieren sagen Sie.

… nun ja, es muss sich in einigen Bereichen schon fundamental was ändern.

Was meinen Sie?

Die Mobilität von Fachkräften zum Beispiel. Oder die Beteiligung von Mitarbeitern am Kapital. Das ist alles sehr motivierend für die Leute in den USA. In Deutschland und Europa weiß ich, dass das immer noch schwierig ist. Ich sehe jedoch die Ansätze.

Aber die reichen noch nicht?

Ich glaube, es fehlt immer noch etwas. Neben Geld fehlt das Umfeld, vor allem fehlt diese Can-do-Haltung.

Ist das eine Sache der Mentalität? Was war für Sie denn der fundamentale Unterschied zu Deutschland, den Sie als junger deutscher Ingenieur Anfang der 2000er nach Ihrem Wechsel zu Space X gespürt haben?

Wir wollten alle, dass unser erster Flug erfolgreich sein wird. Es ist also nicht so, dass wir damals gedacht haben: Ok, dann haben eben ein paar Starts nicht funktioniert, was soll’s. Probieren wir es eben wieder von vorn. Wir fanden das alle blöd, dass die ersten Starts schief gegangen sind. Heute sehe ich das aber tatsächlich anders. Heute sage ich: Mit jedem Fehlstart haben wir was gelernt. Ich musste dabei oft an eine Szene denken, die ich mit Manfred Fuchs, dem Gründer von OHB, erlebt habe. Wir hatten vor vielen Jahren in Kiruna in Schweden auch einen Fehlstart. Dann kam er zu mir und sagte: Ihr habt was gelernt, das ist mehr wert, als wenn es erfolgreich gewesen wäre. Das hat mich sehr beeindruckt – und hat mich gelehrt, dass derjenige, der immer nur erfolgreich ist, nicht weiß, wie nahe er am Abgrund steht. Er weiß aber vor allem nicht, wie er Dinge verbessern kann. Oder anders ausgedrückt: Es ist schön, Erfolg zu haben, aber auf der anderen Seite lernt man jedoch nicht allzu viel dabei.

Es ist schön, Erfolg zu haben, aber auf der anderen Seite lernt man jedoch nicht allzu viel dabei.

Was Sie ansprechen, ist Teil der Kultur. Wie wichtig ist Kultur für ein erfolgreiches Unternehmen?

Die Kultur in einem Unternehmen drückt für mich die Art aus, wie es an Probleme herangeht. Aus Deutschland kannte ich die Kultur, dass man ein Angebot schreibt, dann gibt es vielleicht die Phase A, dann die Phase B und so weiter, bis es vielleicht irgendwann einen Flug gibt. Die andere Herangehensweise ist die, die ich bei Space X kennengelernt habe: Wir überlegten, dass wir die erste Stufe wieder landen müssen, um die Rakete billiger zu machen. Also haben wir gesagt: Was müssen wir eigentlich machen, um dabei erfolgreich zu sein? Das ist ein völlig anderer Ansatz. Man muss Versuche machen, Methoden ausprobieren. Über Jahre haben wir ganz ohne Studien oder Angebote Versuche gemacht, die Stufe wieder zu landen. Vor allem natürlich aus Eigenmitteln. Ich gebe zu, dass es hilfreich ist, diese Mittel zu haben. Das Problem mit staatlichen Mitteln ist, dass man gar nicht auf die Idee kommt, es anders zu machen. Denn der Rahmen gibt eben vor, wie es gemacht werden soll. Es dauert zu lange und die Innovation geht verloren.

Zurück zur Kultur: Was hat Space X geholfen, so erfolgreich zu sein?

Unsere Fokussierung auf die Ingenieurinnen und Ingenieure. Da wird immer was entwickelt, ausprobiert und getestet. Das ist eine der Stärken von Space X. Der Overhead ist sehr klein, geradezu minimiert.

Welche Rolle spielt dabei Elon Musk? Wie sieht das im täglichen operativen Ablauf aus?

Elon ist sehr präsent und auch sehr involviert. Vor allem im Projekt Starship. Er arbeitet dann auch tageweise mit den Teams direkt zusammen.

Und wie war das für Sie in der Zusammenarbeit mit ihm?

Er ist schon sehr intensiv als Chef. Meetings sind sehr straff und effektiv. Vor allem ist jede Diskussion mit ihm sehr technisch. Das liegt mir auch. Deshalb hat das immer gut funktioniert.

Es heißt, Elon Musk sei berüchtigt für kurze Meetings.

Das stimmt. Da wird nicht rumgeplaudert. Ein Meeting findet statt zum Austausch von Informationen. Und bei uns gilt: Wer nichts mehr beizutragen hat, geht raus und widmet sich wieder seiner Arbeit.

Ein Meeting findet statt zum Austausch von Informationen. Und bei uns gilt: Wer nichts mehr beizutragen hat, geht raus und widmet sich wieder seiner Arbeit.

Wie wichtig ist das Visionäre bei Space X?

Sehr wichtig. Elon hat eine Art sich auszudrücken, die die Leute zum Nachdenken anregt und die auch fundamentale Wahrheiten enthält. So erreicht er Menschen und bringt sie dazu, ihr Bestes zu geben. Mich hat immer seine Haltung zu seinem Tun beeindruckt. Und das hat er mal so umschrieben: „Das Leben auf der Erde muss mehr sein als ein Problem nach dem andern … es muss Inspiration haben.“

Für wie inspirierend halten Sie den Flug von Bezos für die Raumfahrt?

Nun ja, für Blue Origin, also für die Firma von Jeff Bezos, mag das schon sehr inspirierend gewesen sein. Es ist aber ein relativ kleiner Schritt für den Rest der Welt. Es war ein Parabelflug und einen ordentlichen Schritt davon entfernt, in den Orbit zu gehen oder zu den Sternen zu fliegen.

Dass Bezos selbst mitgeflogen ist, war aber schon sehr mutig, oder? Es hätte schließlich einiges schief gehen können.

Das ist richtig. Es gehört viel Mut dazu, den ersten Flug zu machen. Wir hatten den ersten orbitalen Flug mit Crew im Mai 2020. Sie bestand aus zwei Astronauten der NASA, professionelle Testpiloten, die im Falle eines Problems die Situation noch hätten retten können. Dass bei Blue Origin Bezos selbst geflogen ist, war mehr als eine Botschaft zur Rakete und zum Projekt selbst zu verstehen.

Dass bei Blue Origin Bezos selbst geflogen ist, war mehr als eine Botschaft zur Rakete und zum Projekt selbst zu verstehen.

Wo sehen Sie die Raumfahrt in den nächsten Jahren, was ist noch möglich? Elon Musk hat ja angekündigt, im Jahr 2025 auf den Mars zu übersiedeln …

In den kommenden Jahren werden deutlich mehr kommerzielle Crews im niedrigen Erdorbit unterwegs sein. Ich denke auch, dass es bald Flüge solcher Crews rund um den Mond geben wird. Und wovon ich sehr überzeugt bin: Space X wird es mit Elon schaffen, zum Mars zu fliegen.

Auch zum geplanten Zeitpunkt?

Ich würde zumindest nicht ausschließen, das zu schaffen. Aber unabhängig vom Zeitpunkt glaube ich fest daran, dass wir zum Mars kommen.

Was ist für Sie der fundamentale Nutzen der Raumfahrt?

Die Raumfahrt erlaubt es dem Menschen, sich von der Erde wegzubewegen und fremde Planeten zu besiedeln, langfristig gesehen. Ich hab da meine Meinung auch komplett geändert. Als ich aus Deutschland weggegangen bin, habe ich den fundamentalen Nutzen der Raumfahrt in der Rückschau auf die Erde gesehen. Das ist nach wie vor wichtig: Navigation, Aufklärung, Kommunikation, Erdbeobachtung per Satellit ist unbedingt notwendig. Aber das, was die Menschen schon immer begeistert hat, ist die Möglichkeit, von einem Planeten zum anderen zu springen. Das ist das, was uns antreibt. Das sollte auch der Antrieb für jeden Raumfahrtingenieur sein, wenn er morgens aufsteht und zur Arbeit geht.

OHB-Gründer Manfred Fuchs, mit dem Sie oft eng zusammengearbeitet haben, war ja auch ein sehr visionärer Unternehmer. Wie haben Sie ihn erlebt?

Er war ein sehr eigener Charakter. Er hatte eine klare Vorstellung von seiner Firma und der Raumfahrt. Ich empfand ihn immer als visionär, er dachte in anderen Zeiträumen. Und er hatte Mut zum unternehmerischen Neubeginn – von daher hatte er schon gewisse Ähnlichkeiten im Denken mit Elon Musk.

Hans-Jörg Königsmann im Juli 2021 am OHB-Standort Bremen neben einem Modell von BremSat. © OHB