Unser Schwesterplanet und jede seiner Entwicklungen gibt uns auch Auskunft über unsere Erde

Prof. Dr. Pascale Ehrenfreund, Vorstandsvorsitzende des DLR, ist davon überzeugt, dass wir von der Venus viel über unser Sonnensystem und unsere Erde lernen können

Prof. Dr. Pascale Ehrenfreund (59) ist Astrobiologin und seit 2015 Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Interview mit dem OHB-Redaktionsteam erklärt sie, aus welchen Gründen sie die Existenz von Leben auf der Venus für unwahrscheinlich hält und warum sie Missionen zur Venus aber trotzdem als lohnende Investition sieht.

Frau Dr. Ehrenfreund, Sie sind Astrobiologin, glauben Sie, dass irgendwann Leben außerhalb der Erde gefunden wird? Oder wird eher der Nachweis erbracht, dass die Erde wirklich einzigartig ist und nirgendwo sonst im Universum Leben existiert?

Pascale Ehrenfreund: Das ist die Frage, auf die wir alle gerne eine Antwort hätten. Als ich noch studiert habe, war kein einziger Exoplanet bekannt, heute haben wir schon über 4000 Exoplaneten entdeckt. Es gibt eine enorme Anzahl an Sternen, Planetensystemen und Galaxien. Unsere Erde ist aber definitiv ein außergewöhnlicher Planet. Sie hat genau den richtigen Abstand zur Sonne, ihre Umlaufbahn wird vom Jupiter stabilisiert und es gibt flüssiges Wasser. In unserem Sonnensystem bietet kein anderer Planet diese Bedingungen. Auf der Erde ist das Leben überall, nahezu jede ökologische Nische ist besetzt. Dabei ist vor allem das primitive Leben extrem hartnäckig. Bevor und nachdem sich vor 3,5 Milliarden Jahren die ersten Lebewesen entwickelt haben, gab es Asteroideneinschläge und Eiszeiten. Und noch heute kommen Organismen an Orten vor, an denen Menschen nur wenige Sekunden überleben würden. Und wir haben noch längst nicht alle Lebensformen auf der Erde entdeckt. Aus meiner Sicht stehen die Chancen gut, auch außerhalb der Erde Leben zu finden.

Sie haben flüssiges Wasser erwähnt, ist das eine zwingende Voraussetzung für die Entwicklung von Leben?

Ja, zumindest für die Formen, die wir von der Erde her kennen. Für die Lebewesen auf der Erde ist Wasser aufgrund seiner chemischen Eigenschaften unverzichtbar. Bei Stoffwechselvorgängen spielt es eine entscheidende Rolle als Lösungsmittel und Transportmedium. Zudem ist Wasser einer der wenigen Stoffe, die in einem sehr engen Temperaturbereich in allen drei Aggregatzuständen – also fest, flüssig und gasförmig –vorkommen. Natürlich wurden auch schon andere Stoffe untersucht, die die Rolle von Wasser übernehmen könnten. Zum Bespiel Methan, von dem es auf dem Saturnmond Titan ganze Seen gibt. Allerdings muss man dazusagen, dass Methan erst ab Temperaturen von unter -162 Grad Celsius flüssig wird, bei höheren Temperaturen liegt es gasförmig vor. Bisher wurde auch noch kein Stoff entdeckt, der in seinen Eigenschaften denjenigen von Wasser entspricht. Und wenn wir uns umschauen, sehen wir, dass 70 % der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt sind und auch die meisten irdischen Organismen zu mehr als der Hälfte aus Wasser bestehen. Ich glaube also, für die Entstehung von Leben, so wie wir es kennen, ist flüssiges Wasser eine Grundvoraussetzung.

Auf der Erde basiert das Leben auf Kohlenstoff. Könnte es auch Leben auf Basis anderer Elemente geben?

Kohlenstoff hat die besondere Eigenschaft, dass es neben chemischen Einfachbindungen auch Doppel- und Dreifachbindungen eingehen kann. Diese Eigenschaft ist unter anderem bedeutsam für unser Erbgut, die DNA. Diese ist aus zahlreichen Doppelbindungen zwischen Kohlenstoff und Kohlenstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff oder Kohlenstoff und Stickstoff aufgebaut. Wenn es um Leben auf Basis anderer Elemente geht, wird auch immer wieder von Silizium gesprochen. Silizium ähnelt in einigen Eigenschaften dem Kohlenstoff, allerdings lassen sich Siliziumdoppelbindungen nur unter Laborbedingungen erzeugen und sind meist instabil. Zudem ist Kohlenstoff nach Wasserstoff, Helium und Sauerstoff das vierthäufigste Element im Universum. Wenn wir andere Planeten und Kleinkörper betrachten, sehen wir eigentlich immer Kohlenwasserstoffe. Sogar in anderen Galaxien.

Wenn flüssiges Wasser eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von Leben darstellt und Leben auf Basis anderer Elemente als Kohlenstoff nur schwer vorstellbar ist, wie wahrscheinlich ist dann die Existenz von Leben auf der Venus?

Ich muss gestehen, das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz ist die Venus unheimlich interessant. Sie ist einer der Nachbarplaneten der Erde und hat eine ähnliche Größe. Ihre Entwicklungsprozesse sind für uns sehr interessant. Beide Nachbarplaneten der Erde, also Venus und Mars, sind spannend in dieser Hinsicht, da sie vor 4,6 Milliarden Jahren gemeinsam mit der Erde entstanden sind, sich seitdem aber völlig unterschiedlich entwickelt haben. Und aus diesen unterschiedlichen Entwicklungen können wir lernen. Einerseits gewinnen wir dabei Erkenntnisse über unser Sonnensystem, aber andererseits lernen wir auch Dinge über unseren eigenen Planeten. Die Venus ist aber ein schwieriger Planet, sie ist sehr, sehr unzugänglich. Durch die dichte Atmosphäre kann man nur schwer auf die Oberfläche schauen und durch Hitze und Druck ist es auch kompliziert, dort zu landen. Was das Leben betrifft, gibt es Ideen, dass es vielleicht Bakterien in der Atmosphäre geben könnte, in den schwefelsäurehaltigen Aerosolen, die dort vorkommen. Ich halte aber auch das für eher unwahrscheinlich. Und die Existenz von Leben auf der Oberfläche ist in meinen Augen völlig ausgeschlossen.

 

Beide Nachbarplaneten der Erde, also Venus und Mars, sind spannend in dieser Hinsicht, da sie vor 4,6 Milliarden Jahren gemeinsam mit der Erde entstanden sind, sich seitdem aber völlig unterschiedlich entwickelt haben.

 

Diese Bedingungen betreffen das Leben, das heute auf der Venus existieren könnte. Es gibt aber ja auch Publikationen, die besagen, dass auf der Venus für lange Zeit freundlichere Bedingungen geherrscht haben.

Die ersten Publikationen zu diesem Thema gab es 2016 und im letzten Jahr wurde diese Theorie auch auf mehreren Kongressen vorgestellt. Es geht dabei um die Annahme, dass auf der Venus für lange Zeit stabile Bedingungen bestanden haben und es auch flüssiges Wasser gab. Irgendwann ist ein dramatisches Ereignis eingetreten, das zu einer globalen Oberflächenerneuerung geführt hat. Dabei bildete sich das heute bestehende extreme Klima. Wenn die Venus sich hingegen ähnlich wie die Erde entwickelt hätte, wäre das Kohlendioxid, dass wir heute in der Atmosphäre finden, zumindest teilweise wieder in der Oberfläche gebunden worden. Irgendwann in der Klimageschichte der Venus gab es aber eine derartig starke vulkanische Aktivität, dass das Kohlendioxid nicht mehr absorbiert werden konnte. Das Ergebnis war ein galoppierender Treibhauseffekt, der die Venus zu einem extrem lebensfeindlichen Planeten gemacht hat. Das ist es, was wir heute sehen.

Halten Sie es trotzdem für sinnvoll, neue Missionen zur Venus auf den Weg zu bringen?

Weitere Missionen wären notwendig, um die Venus zu studieren. Unser Schwesterplanet und jede seiner Entwicklungen gibt uns auch Auskunft über unsere Erde und unser Sonnensystem. Ein solcher Flug ist aber nicht ganz einfach. Am liebsten möchte man natürlich auf die Oberfläche und dort Bilder machen, aber das ist schon ein technologisches Abenteuer. Alle bisherigen Landesonden haben nur Minuten bis wenige Stunden auf der Oberfläche überlebt. Es gibt aber Missionskonzepte, die sich genau damit beschäftigen und es wird an Möglichkeiten gearbeitet, der Hitze und dem atmosphärischen Druck zu widerstehen. Die Ideen, die dabei entwickelt werden, können nicht nur für Missionen zur Venus, sondern auch zu anderen Zielen in unserem Sonnensystem und darüber hinaus genutzt werden. Das ist ja auch einer der Gründe, warum man Raumfahrt betreibt: Raumfahrtmissionen treiben die technologische Entwicklung voran.

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