Unser Wissen über die Venus ist noch sehr lückenhaft. Dieses aus Daten der NASA-Sonde Magellan generierte Bild ist eine der wenigen Aufnahmen der Oberfläche, die bisher gemacht wurden. © JPL/NASA

Das Leben auf der Erde ist nicht das Maß aller Dinge

Dr. Klaus Slenzka, leiter der Abteilung Life Sciences bei OHB, hält es deshalb für durchaus möglich, dass auch auf der Venus Leben existiert

Am 15. Dezember 1970 war die Venus der erste Planet, auf dem mit Venera 7 die weiche Landung einer Sonde gelang. Erste Bilder von der Oberfläche des Planeten wurden am 22. Oktober 1975 von Venera 9 zur Erde übertragen. Bis 1985 gelangen acht weitere Landungen. Seitdem ist das Interesse abgeflaut. Bis heute gab es nur noch drei weitere Missionen mit dem primären Ziel Venus, keine davon eine Landemission. Anstelle der Venus ist der Mars in den Fokus der Raumfahrtnationen gerückt. Sogar über die Gründung einer Marskolonie wird schon ernsthaft nachgedacht. Über die Besiedlung der Venus wird hingegen überhaupt nicht diskutiert. Auch die Existenz von Leben auf dem nächsten Nachbarplaneten der Erde wird von den meisten Wissenschaftlern bezweifelt. Dies liegt an den extremen Bedingungen, die auf der Venus herrschen. Oberflächentemperaturen von weit über 400 Grad Celsius, eine für irdische Lebewesen toxische Atmosphäre und Druckverhältnisse wie in der Tiefsee lassen die Venus als lebensfeindlichen Planeten erscheinen. Vollkommen ausgeschlossen sei das Vorkommen von Leben auf der Venus aber nicht, meint Dr. Klaus Slenzka, Leiter der Abteilung Life Sciences bei OHB. Immerhin habe das Leben auf der Erde im Verlauf seiner Entstehungsgeschichte eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit an den Tag gelegt.

Herr Slenzka, wie wahrscheinlich ist es, dass auf einem derart lebensfeindlichen Planeten wie der Venus tatsächlich Leben existiert?

Bevor wir über die Wahrscheinlichkeit von Leben auf fremden Planeten spekulieren, müssen wir uns klar machen, dass alles, was wir über das Leben zu wissen glauben, auf der Erforschung des Lebens auf der Erde basiert. Wenn wir uns die Bedingungen auf der Venus vor Augen halten und unsere irdischen Vorstellungen einer lebensfreundlichen Umgebung dagegen halten, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Existenz von Leben auf der Venus ein Ding der Unmöglichkeit ist. Das ist aber auch nicht die richtige Herangehensweise. Wir wollen ja nicht wissen, ob Lebewesen von der Erde auf der Venus überleben können, sondern ob sich auf der Venus Leben entwickelt haben kann. Und wenn man die Entwicklung des Lebens auf der Erde betrachtet, erscheint das gar nicht so abwegig.

Was meinen Sie damit?

Man darf nicht vergessen, dass das Leben auf der Erde nicht immer in seiner heutigen Form existiert hat. Die Gegebenheiten, die wir heute auf der Erde vorfinden, unterscheiden sich gravierend von den Bedingungen, unter denen vor 3,8 Milliarden Jahren das erste Leben entstanden ist.

Alles, was wir über das Leben zu wissen glauben, basiert auf der Erforschung irdischen Lebens. Aber wer sagt denn, dass die Biologie auf der Erde das Maß aller Dinge ist?

Dr. Klaus Slenzka, Leiter der Abteilung Life Sciences bei OHB

Inwiefern?

Nehmen wir zum Beispiel die Zusammensetzung der Atmosphäre. Die große Mehrheit der heute auf der Erde zu findenden Lebewesen braucht zum Überleben Sauerstoff. In ihrer heutigen Zusammensetzung existiert die Atmosphäre aber erst seit ungefähr 350 Millionen Jahren. Davor bestand sie in erster Linie aus Kohlenstoffdioxid, Methan und Ammoniak. Als sich durch die Photosyntheseaktivität der ersten Lebewesen Sauerstoff in der Luft anreicherte, führte das zum ersten großen Massenaussterben der Erdgeschichte. Für viele der unter anaeroben Bedingungen entstandenen Organismen war der steigende Sauerstoffanteil in der Atmosphäre mit der Anreicherung von Giftgas gleichzusetzen. Die frei werdenden ökologischen Nischen wurden dann von Organismen besetzt, die den Sauerstoff zur Energiegewinnung nutzen konnten.

Was bedeutet das für die Suche nach Leben auf fremden Planeten?

Wir neigen dazu, bei der Suche nach Spuren von Leben nach einer zweiten Erde zu suchen. Das ist absurd. Wer sagt denn, dass die Biologie auf der Erde das Maß aller Dinge ist? Ja, die Anzahl der im Universum vorkommenden chemischen Elemente und damit der möglichen Bausteine des Lebens ist begrenzt. Aber bedeutet das auch, dass das Leben auf allen Planeten auf Kohlenstoff basieren muss, nur weil das auf der Erde der Fall ist? In keiner mir bekannten wissenschaftlichen Definition von Leben ist das eine Bedingung. Und wer sagt, dass die Erde sich nicht weiterentwickelt? Womöglich sieht die Erde in einigen 100 MillionenJahren ganz ähnlich aus wie die heutige Venus, beherbergt aber noch immer Leben, das sich im Rahmen der Evolution an die veränderten Bedingungen angepasst hat. 

Wenn sich das Leben auf anderen Planeten möglicherweise derart grundlegend vom Leben auf der Erde unterscheidet, welche Möglichkeiten haben wir dann, es überhaupt als solches zu erkennen?

Es gibt eine Reihe von physikalisch-chemischen Schlüsselmerkmalen, die alle lebenden Organismen aufweisen.Dazu zählen unter anderem das Vorhandensein einer äußeren Abgrenzung zur Umwelt, die Fähigkeiten zu Wachstum und Reproduktion und eben auch die evolutive Anpassungsfähigkeit an bestimmte Umweltbedingungen.

Können wir von der Erde aus feststellen, ob Leben auf der Venus existiert?

Nein, um auf der Venus nach Leben zu suchen, müssen wir schon hinfliegen und Untersuchungen in-situ durchführen.

Wie könnte das Leben auf der Venus aussehen?

Wenn wir auf der Venus tatsächlich Leben finden, wird es sich dabei wahrscheinlich um Einzeller oder einfache Mehrzeller handeln. Spektralanalysen der Wolkenschichten der Venus lassen das Vorhandensein derartiger Organismen in der Atmosphäre vermuten. Bis vor 700 Millionen Jahren könnten auf der Venusoberfläche auch höhere Lebensformen existiert haben. In vom Goddard Institute for Space Studies der NASA durchgeführten Simulationen konnte gezeigt werden, dass die Venus möglicherweise für zwei bis drei Milliarden Jahre ein von Ozeanen bedeckter Planet mit milden Temperaturen gewesen sein könnte. Diese Zeitspanne hätte die Entwicklung höherer Lebensformen durchaus erlaubt. Dass diese das Einsetzen des sich selbst verstärkenden Treibhauseffektes und die daraus resultierenden heutigen Bedingungen auf der Venus überlebt haben, ist allerdings unwahrscheinlich.

2012 wurden die Bilder der sowjetischen Venera-Missionen für eine Veröffentlichung im International Journal of Astronomy and Astrophysics noch einmal ausgewertet und der Autor gibt an, in den Bildern Strukturen entdeckt zu haben, die für die Existenz höherer Lebensformen auf der Venus sprechen. Was halten Sie davon?

Bei der Betrachtung der Bilder darf man nicht vergessen, dass sie auf der Oberfläche der Venus aufgenommen wurden, wo technisches Equipment nur wenige Minuten bis Stunden überlebt. Es ist also denkbar, dass es sich bei den beschriebenen Strukturen um Artefakte handelt. Zudem machen mich die Bezeichnungen der Objekte stutzig. Es wird unter anderem von Blättern, einer Eule und einem Skorpion gesprochen. Zwar weist der Autor darauf hin, dass sich die Benennungen rein nach der äußeren Form der Objekte richten, allerdings werden im Text dann doch immer wieder Analogien zu irdischen Lebensformen aufgegriffen. Alles in allem verlieren die Informationen dadurch an Wissenschaftlichkeit. Hier wäre sicherlich eine andere Formulierung sinnvoller gewesen.

Wenn wir auf der Venus tatsächlich Leben entdecken würden, hätte das auch einen Nutzen für die Erde?

Auf jeden Fall. Gerade wenn wir davon ausgehen, dass die Venus in ihrer Entwicklungsgeschichte weiter fortgeschritten ist als die Erde, können wir aus dem, was wir auf der Venus finden, möglicherweise auf die Zukunft der Erde schließen. Bisher ist unser Wissen über die Venus ja noch mehr als lückenhaft. Eine große Herausforderung ist allerdings die Entwicklung von Equipment, das den Bedingungen auf der Venus für längere Zeit standhält. Um die Frage nach der Existenz von Leben auf der Venus zu klären, sind Langzeitbeobachtungen notwendig. Diese sollten sich aber nicht allein auf die Suche nach kohlenstoffbasierten Lebewesen konzentrieren, sondern vielmehr nach den Schlüsselmerkmalen des Lebens Ausschau halten. Ich denke dabei zum Beispiel an Masseveränderungen durch Wachstum und Reproduktion. Möglicherweise kommen wir über diese Schlüsselmerkmale dann zu ganz neuen Aspekten des Lebens, die uns auf der Erde bisher nicht begegnet sind. Das wäre eine Sensation, die mit Sicherheit auch gravierende Auswirkungen auf unser Verständnis der Biologie auf der Erde hätte.

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