Mahmoud zählt zu den Raumfahrtpionieren, die Egypt Sat 1 in Baikonur mit auf den Weg bringen © OHB

Schicksalhafte Anrufe und freudige Ereignisse

Das Leben von Mahmoud Elsirafy ist gut, als er mit 22 Jahren gerade entspannt mit ein paar Freunden am Strand von Alexandria seinen Urlaub genießt. Doch dann ruft sein Vater Ahmed an und stellt das ohnehin ereignisreiche Leben unseres Bremer Kollegen mächtig auf den Kopf.

Du musst sofort nach Hause kommen“, dröhnt es durch den Hörer. „Die suchen Ingenieure für ein Raumfahrtprogramm. Du musst dich bewerben!“, so sein Vater in heller Aufregung. Mahmoud ist nicht angetan von der Idee, seinen Urlaub abzubrechen. Außerdem hat er einen guten Job bei der amerikanischen Firma Silicon Expert in seiner Heimatstadt Banha rund 50 Kilometer nördlich von Kairo. Er erteilt seinem Vater eine Absage und wundert sich nicht schlecht, als ein paar Monate später dennoch die Einladung zum Vorstellungsgespräch von der ägyptischen Behörde für Fernerkundung und Raumfahrtforschung eingeht. Seine Mutter Nadra, ehemalige Schulleiterin an einer Highschool in Banha, hat in der Zwischenzeit die Angelegenheit in die Hand genommen. „Man muss dazu sagen, sie ist die Regierung im Haus und genießt ein hohes Maß an Respekt“, erläutert Mahmoud mit einem breiten Lächeln.

Bewerbungsmarathon und Pionierarbeit

 Da die Einladung nun schon mal da ist, geht er zum Bewerbungsgespräch; auch zur zweiten und zur dritten Runde. Beim vierten Interview wird der ehemalige Langstreckenschwimmer ungeduldig und fragt freundlich nach, ob der Bewerbungsmarathon auch irgendwann ein Ende hat. Dieser Kommentar wird mit einem großen, roten X in seiner Akte belohnt. Mahmoud ärgert sich, denn mittlerweile will er diesen Job haben. Doch nun scheint alles aus und vorbei zu sein.

Als die neue Woche anbricht, geht der Jungingenieur wie gehabt zur Arbeit und will all das hinter sich lassen. Da klingelt erneut das Telefon und wieder brüllt ein Mann in den Hörer. Diesmal ist es einer seiner Mitbewerber, der wissen will, warum Mahmoud nicht zum finalen Gespräch erscheint, obwohl sein Name schon zweimal aufgerufen wurde. Mahmoud hatte nach der letzten Bewerbungsrunde ein Taxi mit ihm geteilt und Telefonnummern ausgetauscht, obwohl er den Mann nicht kannte. Dieser quasi Unbekannte hilft an dieser Stelle Mahmouds Schicksal auf die Sprünge.

Großes Missverständnis also! Jetzt heißt es in kürzester Zeit und in der Rushhour von Banha nach Kairo zu kommen. Ahmed erklärt sich bereit zu fahren. „Dann kommen wir erst morgen früh an, lass mich ans Steuer“, bittet Mahmoud inständig. Doch das Familienoberhaupt hält ihm eine Standpauke: „Du wolltest all das hier doch gar nicht und doch bist du so weit gekommen. Vertrau auf deinen Weg. Was auch immer geschehen soll, es wird geschehen, du musst nur dein Bestes geben, und ich glaube, dass du es bereits getan hast. Und jetzt setz dich hin und halt die Klappe.“ Damit erteilt der Staatssekretär im Sozialministerium, heute Pensionär, seinem Sohn die Lektion seines Lebens.

„Er hatte recht. Der Weg ist vorgezeichnet. Nicht im passiven Sinne. Hier geht es vielmehr um Bestimmung als um Schicksal, um das tiefe Vertrauen, dass alles einen Sinn hat und gut werden wird“, philosophiert Mahmoud. Er ist ohnehin ein Mensch, der sich viele Gedanken macht über das Leben und das Miteinander. Er zitiert ein ägyptisches Sprichwort, das so viel bedeutet wie „Mit einer Hand kann man nicht klatschen“. Das mag er sehr und erläutert: „Jeder Einzelne, egal ob Reinigungskraft oder Vorstand, spielt eine bedeutende Rolle im Team. Das erfolgreiche Miteinander im Team funktioniert nur, wenn man sich gegenseitig wertschätzt und jeder seinen Part gut macht. Das wird definitiv so sein, wenn man die richtigen Personen an die richtigen Positionen bringt.“

Der Weg in die Raumfahrt und zu OHB

Zwei Monate nach besagter Autofahrt und gerade mal 23 Jahre alt geht Mahmoud Elsirafy als einer von 34 Raumfahrtpionieren für sechs Jahre in die Ukraine, um den ersten ägyptischen Fernerkundungssatelliten „Egypt Sat 1“ mit den Experten vor Ort zu entwickeln und zu bauen. 2007 wird er vom Weltraumbahnhof in Baikonur gestartet. Zurück in der Bodenstation in Kairo wird es Mahmoud schnell zu langweilig. Ein paar Budgetkürzungen und einen Ausflug in die Selbstständigkeit (Security-Systeme) später packt den Endzwanziger die Idee, seine Qualifikationen aufzustocken, „denn das Management ist oft das größte Problem, um Projekte zum Erfolg zu führen“, erläutert er seine Entscheidung. In Kairo macht er sein Diplom in Projektmanagement und bei der International Space University ISU in Straßburg seinen Master of Science in Space Management. Er arbeitet mit Menschen aus 25 Nationen zusammen und mag das internationale Umfeld sehr. Zum ersten Mal hört er hier von OHB und dem frisch beauftragten Galileo-Projekt. 2011 bewirbt er sich auf ein dreimonatiges Internship und ist sofort „begeistert von dem jungen, dynamischen Team, den Shortcuts, wo Dinge auch mal auf dem Flur geklärt werden, damit Sachen schneller vorangehen“. Hier gefällt es Mahmoud, hier will er bleiben. Dafür setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, denn seine Mutter ist von der Idee gar nicht angetan. Sie will ihren Sohn in der Nähe haben und sie will, dass er eine Familie gründet. Im Endeffekt stimmt Mahmoud Nadra erst milde, als sein Onkel, der in den 1960er-Jahren seine Doktorarbeit in Deutschland geschrieben hat, als gewichtiger Fürsprecher auftritt, Mahmoud einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorlegt, der besagt, dass er jetzt sesshaft wird, und dazu das Versprechen auf den Tisch legt, dass er sich in naher Zukunft um die Familienplanung kümmern wird.

Geburtshelfer wider Willen

Ein Mann, ein Wort: Über einen Freund in den USA lernt er kurz darauf seine zukünftige Frau Laila kennen. Sie ist Bankerin in Kairo, mag das Reisen und kann sich ein Leben in Deutschland gut vorstellen. Über ein Jahr schreiben sich die beiden, lernen sich besser kennen und verlieben sich. Mittlerweile leben sie im Bremer Stadtteil Borgfeld an der Grenze zu Lilien thal. Hier ist es sehr grün, sehr ländlich und die Elsirafys fühlen sich sehr wohl. Zum Thema „rassistische Anfeindungen“ schüttelt Mahmoud mit dem Kopf und sagt: „Natürlich gucken manche Leute dich schräg an, aber das passiert hier genauso wie in Ägypten oder sonst wo auf der Welt.“ Gerade in seiner direkten Nachbarschaft kann davon gar keine Rede sein, denn die war gesammelt bei der Geburt seines ersten Kindes dabei.

Die abenteuerliche Geschichte beginnt, als Laila bei Mahmoud anruft und sagt: „Komm nach Haus. Es geht los.“ Doch der lässt sich nicht hetzen, denn der offizielle Termin ist noch einen Monat hin. Als er ankommt, liegt seine Frau jedoch schon schreiend auf dem Boden. Der werdende Vater ruft den Arzt und trägt sie ins Bett. Immer mehr Nachbarn versammeln sich, um dem Krankenwagen den Weg zu weisen, denn das Haus der Elsirafys liegt etwas abseits. Der Notarzt kommt aber nicht so schnell durch den Feierabendverkehr. Mahmoud rennt wie wild hin und her. Als er auf seiner Tour gerade wieder bei seiner Frau ankommt, da fällt ihm das Kind auch schon in die Hände. Als kurz darauf die Sanitäter eintreffen und fragen, ob er die Nabelschnur durchschneiden möchte, da antwortet er nur trocken: „Klar, warum nicht. Bisher habe ich ja auch alles selbst gemacht.“ Dass dem Paar eigentlich eine Tochter angekündigt wurde, spielt da schon keine Rolle mehr. Alle sind glücklich und zufrieden mit dem kleinen Adam.

Beim zweiten Kind soll alles anders werden. „Diesmal schaffen wir es ins Krankenhaus“, lautet der ehrgeizige Plan. Als das Spektakel sich wieder einen Monat vor dem offiziellen Termin durch laute Schreie ankündigt, zögert Mahmoud keine Sekunde und verfrachtet seine Frau sofort ins Auto. Mit quietschenden Reifen befördert er sie ins hiesige St. Joseph-Stift. Er rennt in die Empfangshalle, brüllt und wedelt und eilt zurück zum Auto. Hier passiert, was passieren muss: Vor den Augen der Sanitäter gleitet ihm seine kleine Tochter Jasmin (diesmal wirklich ein Mädchen) direkt in die Hände. Dafür hat Mahmoud zu Recht einen doppelten Ehrendoktor der Medizin von seinen Kollegen aus dem Galileo-Projekt verliehen bekommen.

Auf zu neuen Ufern

Sieben Jahre arbeitet der zweifache Vater – zuletzt als Head of Project Management Office – eng mit dem Team zusammen an insgesamt 22 Galileo-Satelliten. Jetzt übernimmt der heute 40-Jährige im Electra-Programm die Aufgabe des AIT-Managers. Neuen, komplexen Herausforderungen stellt er sich gern und versucht nie, in seiner Komfortzone zu bleiben. „Es ist wie ein Puzzle. Du musst in kurzer Zeit ein hohes Maß an Qualität für ein äußerst kompliziertes Hightech produkt erreichen“, erläutert er und zitiert Arthur C. Clarke, um die Arbeit hier bei uns weiter zu beschreiben: „Die Grenzen des Möglichen lassen sich nur dadurch bestimmen, dass man sich ein wenig über sie hinaus ins Unmögliche wagt.“ Das mache OHB. Hier habe man die Chance, Verantwortung zu übernehmen. „Für manche Charaktere bringt das Schwierigkeiten mit sich. Darüber muss man sich im Klaren, dafür muss man gemacht sein. Ich will immer dazulernen. Jeder sollte das wollen“, sagt Mahmoud und ergänzt: „Zehn bis 20 ElectraDesigns will ich verkaufen. Die Leute halten mich für einen Träumer, aber wir werden sehen ...“

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