Ab Ende 2022 werden die ersten MTG-Satelliten schrittweise ins All starten und dort im geostationären Orbit unter maßgeblicher Beteiligung von OHB-Technologie präzisere Wetterprognosen für Europa liefern. © OHB

Der präzise Blick in die Atmosphäre

MTG Meteosat Third Generation - Eines der komplexesten Entwicklungsprogrammen von Satelliten in Europa

Werden extreme Wetterereignisse zu spät erkannt, kann der Mensch kurzfristig gewaltigen Naturphänomenen ausgesetzt sein. Eine präzise Vorhersehbarkeit von Starkregen, Stürmen und Co. ist daher von hoher Bedeutung, um rechtzeitig mögliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Aber auch für die Landwirtschaft und den Luftverkehr sind genauere Wettervorhersagen basal. Eine verbesserte Vorhersehbarkeit stellt das Wettersatellitenprogramm MTG (Meteosat Third Generation) in Aussicht. Ab Ende 2022 werden die ersten MTG-Satelliten schrittweise ins All starten und dort im geostationären Orbit unter maßgeblicher Beteiligung von OHB-Technologie präzisere Wetterprognosen für Europa liefern. Mit MTG, das zu den komplexesten Entwicklungsprogrammen von Satelliten in Europa zählt, wird die dritte Generation der europäischen Wettersatelliten für EUMETSAT (Exploitation of Meteorological Satellites) entwickelt und realisiert.
OHB ist mit der Verantwortung für alle sechs Satellitenplattformen, den zwei IRS-Instrumenten (Infrared Sounding) für beide Sounder-Satellliten und den vier Einheiten der Telescope Assembly für den Flexible Combined Imager der Imager-Satelliten beteiligt. Darüber hinaus ist OHB auch der Hauptauftragnehmer (Prime) der MTG-S Mission. Kurzum: Die FCI und IRS-Instrumente machen Wetterphänomene sichtbar. Über die Technologie, die das Klima messbar macht, spricht Rupert Feckl, Projektmanager für die MTG-Instrumente bei OHB, im Interview.

Zehn Jahre sind seit der Vertragsunterschrift für das Wettersatellitenprogramm MTG vergangen - was waren die besonderen technologischen Herausforderungen bei der Entwicklung des IRS-Instruments?

Rupert Feckl: Aus technologischer Sicht waren die Herausforderungen mannigfaltig. Das war uns von Beginn an klar. Darum hat die ESA in verschiedenen Wettbewerbsstudien zusammen mit der Europäischen Raumfahrtindustrie bereits im Vorfeld Schlüsseltechnologien lanciert. Dabei ging es beispielsweise darum, eine neue Generation von Infrarot-Detektoren mit nie dagewesener Empfindlichkeit zu designen. Es wurden besonders störungsarme aktive Kühler konstruiert, um ca. 52 Kelvin, rund Minus 220°C, Betriebstemperatur auf der Retina der Detektoren zu erreichen. Der Satellit ist im Orbit die meiste Zeit direkt der Sonne ausgesetzt. Es ist schon eine Designherausforderung, dafür zu sorgen, dass die Sonne nicht direkt ins Instrument scheint. Auf der der Sonne abgewandten Seite ist es wiederum extrem kalt. Durch beide Effekte ergeben sich sehr wechselnde thermale Belastungen. Materialen dehnen sich aus und ziehen sich wieder zusammen. Das wäre tödlich für eine feinjustierte Optik. Darum muss der Thermalhaushalt des Satelliten immer für absolut konstante Temperaturen sorgen. Daher braucht es schon viele Designmaßnahmen, damit das optische Instrument stets konstante Datenqualität liefern kann. Ein so genannter SCAN-Mechanismus, welcher den Primärspiegel der Teleskope mit absoluter Präzision auf Beobachtungspunkte auf der Erde ausrichtet, sorgt dafür, dass das Instrument immer in der richtigen Position auf die Erde schaut. Wir haben sichergestellt, dass diese Genauigkeit 24/7 und für die Betriebslaufzeit von zehn Jahren ohne jede Wartung garantiert werden kann. Das Team von OHB hat immer mit hoher Flexibilität und kreativer Ingenieurskunst reagiert und die Zusammenarbeit mit Partnern und Auftraggebern ist insgesamt gesehen hervorragend gelungen.

Wird OHB künftig mit dem IRS-Instrument in Serie gehen?

Ja, das hoffen wir wirklich sehr. Und daran arbeiten wir derzeit auch mit Nachdruck. Seit vielen Jahrzehnten wünschen sich Meteorologen auf der ganzen Welt auf so genannte „Infrarot-Interferogramme“ zurückgreifen zu können. Mit ihnen kann die Verteilung von Temperaturen und die Bewegung von Gasen in der Atmosphäre gemessen werden. Die ermittelten Daten helfen dabei, extreme Wetterereignisse viel besser vorherzusagen. Unser IRS-Instrument macht das möglich. Allerdings: Als man im Jahr 2010 die Entwicklung des IRS begann, war man sich nicht sicher, ob es überhaupt realisierbar wäre. Erfahrene Raumfahrtnationen, wie beispielsweise die USA, hatten sich an vergleichbaren Instrumenten in der Vergangenheit bereits die Zähne ausgebissen und nie etwas Derartiges zur Marktreife gebracht. Wenn ich mir den aktuellen Stand der Entwicklung des IRS bei OHB anschaue, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir die angestrebten Performancezusagen einhalten werden, sehr hoch. Das führt nun dazu, dass das Interesse der meteorologischen Agenturen weltweit an Daten eines solchen Instrumentes noch einmal deutlich gestiegen ist. Wir hoffen, dass wir in naher Zukunft auch im Export Aufträge für IRS-Modelle gewinnen können. Dazu haben bereits intensive Gespräche mit Wetteragenturen und möglichen Partnern in verschiedenen Regionen der Erde begonnen.

Wie trägt OHB zum Instrument Flexible Combined Imager bei?

Die Imager-Technologie liefert Bilder im sichtbaren Lichtspektrum. Diese Daten werden seit Jahrzehnten von Wetteragenturen aktiv genutzt. Über die Jahre hat sich die Technologie der Imager-Instrumente erheblich fortentwickelt. Wir konnten die Anzahl der spektralen Kanäle, also die Farben der Bilder, die Präzision der Auflösung und die Abdeckung und Wiederholbarkeit der Bilddaten verbessern. Ergänzend liefert das IRS zusätzliche Daten im Infrarot-Lichtspektrum, dazu gehören Informationen über die Zusammensetzung der Atmosphäre und die Bewegung der Luftschichten zueinander.
Aus technologischer Sicht muss man hier aber noch präzisieren: Die beiden primären Instrumente FCI und IRS haben sehr viele technologische Gemeinsamkeiten, wie beispielsweise den Scanner, die Detektorkühlung und das thermale- und mechanische Design. Darum ist das IRS an sehr vielen Stellen auch der „Trittbrettfahrer“ der Entwicklungsfortschritte des Imager-Instrumentes. Jede technische Hürde die wir beim FCI genommen haben, half uns gleichzeitig bei der Entwicklung des IRS. Diese technologischen Synergien waren wesentliche Gründe, warum ESA und EUMETSAT unser Angebot ausgewählt hatten. Das ist eine herausragende Leistung, die uns bei OHB hier gelungen ist.

Welche Stationen werden die MTG-Instrumente in den kommenden Monaten passieren?

Beim FCI-Instrument hat OHB seine Rolle im Wesentlichen bereits erfolgreich erfüllt: Wir haben unsere Lieferanteile für das erste Flugmodell bereits im Sommer 2020 an unseren Partner Thales Alenia Space geliefert. Aktuell wird dieses erste FCI-Flugmodell bei TAS final zusammengebaut und getestet und dann auf dem ersten MTG-I Imagersatelliten integriert. OHB hat am Standort Bremen vorab sehr erfolgreich die ersten Satellitenplattformen für die MTG-I Satelliten gefertigt, getestet und fristgerecht ausgeliefert. Der nächste Schritt nach dem sogenannten „Mating“ zwischen Instrument und Plattform zum kompletten Satelliten ist die Vorbereitung für den Transport und den eigentlichen Start der Trägerakten. Der erste MTG-I Launch ist für Ende 2022 geplant.
Zwei der IRS-Flugmodelle befinden sich in einem deutlich fortgeschrittenen Integrationsstatus bei OHB in den ISO-5-Reinräumen. Im ersten Quartal 2021 erwarten wir nun noch zwei wesentliche Subsysteme von TAS-F, welche dann im Laufe des Jahres zum kompletten Instrument integriert werden. Dieses erste Flugmodell wird zum Jahreswechsel 2021/2022 seine finalen Umwelt- und Performance Tests unterlaufen. Mitte 2022 geht es dann nach Bremen, um in den MTG-S Satelliten integriert zu werden, dann kommen weitere Tests und Vorbereitungen für den Launch. Der erste MTG-S Satellit soll Ende 2023 in den Orbit gehen. Wir sind in Bremen und Oberpfaffenhofen also bestens dafür vorbereitet, weitere Folgeaufträge für MTG-Instrumente oder Satelliten zu gewinnen und zu realisieren.