So voll ist es im All: Das Bild zeigt zwar keine Trümmerteile in ihrer tatsächlichen Größe oder Dichte, aber die Mengen an Weltraumschrott in der Erdumlaufbahn in einer künstlerischen Darstellung auf der Grundlage von erhobenen Daten. ©ESA

SPACEWAYS: EU-Studie zum Space Traffic Management erscheint im Sommer 2022

OHB erarbeitet mit Raumfahrtakteuren aus Industrie und Forschung Leitlinien für Verkehrsregeln im All

Was wäre, wenn alle Verkehrsmittel, die jemals hergestellt wurden, vom ersten Auto bis zum E-Scooter, Motorrad oder Bus, heute noch auf unseren Straßen unterwegs wären? Wenn es keine Abschleppwagen, keine Tankstellen, keine Pannenhilfe gäbe? Keine Ampeln, keine Verkehrsregeln. Die Folge wäre, ganz klar, ein unvorstellbar großes Chaos.

Mit diesem Szenario im Kopf lässt sich die Situation im All gut fassen: Dort kreist Weltraumschrott in unfassbar großen Mengen und hohen Geschwindigkeiten durch die verschiedenen Orbits. Eine Gefahr, die immer größer wird. Insbesondere in der erdnahen Umlaufbahn (LEO), in der sich die Internationale Raumstation (ISS) befindet und in der zurzeit Mega-Satellitenkonstellationen eingerichtet oder geplant werden, wird es eng und aufgrund möglicher Kollisionen auch zunehmend gefährlicher. International geltende Verkehrsregeln im All und damit auch Regeln für einen nachhaltigen Umgang mit der Infrastruktur im Weltraum gibt es bisher nicht.

Die Europäische Kommission finanziert deswegen das Projekt SPACEWAYS mit einem Konsortium aus renommierten europäischen Trägersystem- und Satellitenherstellern, Betreibern und Dienstleistern sowie politischen und juristischen Forschungszentren und -instituten. Seit Anfang 2021 erarbeiten 15 Raumfahrtakteure, darunter die OHB System AG, in sieben Arbeitsgruppen Empfehlungen und Leitlinien für ein Weltraumverkehrsmanagement (engl.: Space Traffic Management, kurz STM).

Rasend schnell und gefährlich

Warum das nötig ist, zeigt die aktuelle Situation im All: Rund 8.500 Tonnen Weltraumschrott kreist rasend schnell und permanent rund um unsere Erde. Kaputte Satelliten und ausgebrannte Raketenstufen, aber auch viele kleine Trümmerteile. Das „Space Debris Office“ der Europäischen Weltraumorganisation ESA führt eine umfangreiche Müll-Statistik. Alle größeren Schrottteile lassen sich recht zuverlässig erfassen und auch tracken, für kleinere Trümmer gibt es Schätzungen, da exakte Messungen noch nicht möglich sind. Die aktuellen Zahlen zeigen aber sehr deutlich, wie voll es im Weltall ist: 36.500 Objekte größer als zehn Zentimeter und eine Million Objekte in der Größe von einem bis zehn Zentimeter werden in den statistischen ESA-Modellen aufgeführt. Schwindelerregend die Zahl für noch kleinere Trümmerteile: 130 Millionen Objekte schwirren umher. Dieser ganze Schrott sowie defekte oder inaktive Satelliten bleiben nicht einfach wie kaputte Autos irgendwo auf der Straße liegen und werden abgeschleppt, nein, sie kreisen unkontrolliert neben funktionierenden Satelliten weiter durchs All – und das mit Geschwindigkeit von bis zu 29.000 Stundenkilometern.

Technologien zur Trümmerbeseitigung und andere Dienste in der Umlaufbahn, wie zum Beispiel die Betankung und die Verlängerung der Lebensdauer von Satelliten, schreiten zwar voran, werden jedoch erst allmählich erprobt und sind noch weit davon entfernt, wirtschaftlich zu sein. Verbindliche Normen, Vorschriften, Grundsätze und Standards sowie gemeinsame Leitlinien werden also dringend gebraucht, um die weitere Verschmutzung der Orbits zu mindern und festzulegen, wie sich die Akteure im Weltraum verhalten sollen, insbesondere im Falle möglicher Kollisionen zwischen Objekten. Aus diesen Gründen untersucht das Projekt SPACEWAYS die Fragen des Weltraummülls und des Weltraumverkehrs auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und greift technische, regulatorische und politische Fragestellungen auf.

Seit Beginn der Raumfahrt gibt es tatsächlich keinen internationalen Vertrag und keine internationale Regelung, die alle Weltraumakteure dazu verpflichtet, sich zum Beispiel bei der Trümmerbeseitigung zu koordinieren. Gleichzeitig entstehen neue Projekte, da Staaten und Unternehmen weiterhin Genehmigungen für den Start bzw. die Inbetriebnahme von Konstellationen mit Tausenden von Satelliten beantragen, wodurch die Überlastung des erdnahen Orbits und das Trümmerrisiko exponentiell zunehmen. Darüber hinaus ermöglichen die aktuellen Trends zur Miniaturisierung der Technologie und zum leichteren Zugang zum Weltraum immer mehr staatlichen Stellen und privaten Akteuren, ihre eigenen Satelliten in die Umlaufbahn zu bringen.

Eine separate STM-Strategie, die von einzelnen Akteuren umgesetzt wird, zum Beispiel von einem Staat oder einem Satellitenbetreiber, würde das Ziel der Sicherheit des Weltraumbetriebs nicht erfüllen.

Angesichts dieser Situation sei es dringend notwendig, sich auf ein Regelwerk zu einigen. „Eine separate STM-Strategie, die von einzelnen Akteuren umgesetzt wird, zum Beispiel von einem Staat oder einem Satellitenbetreiber, würde das Ziel der Sicherheit des Weltraumbetriebs nicht erfüllen“, so das SPACEWAYS-Konsortium.

Geimeinsame Arbeit für mehr Sicherheit im All

„Der Austausch und die gemeinsame Arbeit mit den anderen großen Raumfahrtakteuren in diesem Projekt ist sehr offen und intensiv, vor allem aber getragen von dem gemeinsamen Wunsch, die Sicherheit im Weltraum durch verbindliche Regeln zu erhöhen. Welche Effekte das dann zum Beispiel auf die Konstruktion und das Design von Satelliten, aber auch auf den Wettbewerb haben wird, sind dabei spannende Fragen, die wir in den verschiedenen Arbeitsgruppen im Detail diskutieren. Auch müssen wir klären, welche Technologien wir brauchen, um den Weltraummüll zu erfassen“, so Dr. Charlotte Bewick,  Luft- und Raumfahrtingenieurin und Leiterin der Vorentwicklung wissenschaftlicher Missionen bei OHB.

Die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeiten sollen im Sommer in einer Studie veröffentlicht werden. Eine erste SPACEWAYS-Mitteilung mit dem Titel „1st STM Brief: A Congested Space and its Safety. The Importance of Space Traffic Management and the Current State of Play“ ist jetzt erschienen und kann hier als pdf heruntergeladen werden.

SPACEWAYS ist Teil des europäischen Forschungsprogramms Horizon 2020. Es umfasst 15 Partner, darunter neben OHB unter anderem auch Airbus, Thales Alenia Space und die ArianeGroup, und wird von der „Fondation pour la Recherche Stratégique“ (FRS) in Paris koordiniert. Das achtzehnmonatige Projekt hat ein Volumen von 1,5 Mio. Euro.

Mehr Informationen auf der englischsprachigen SPACEWAYS-Internetseite.