Ausblick von der ISS. © Alexander Gerst

Happy Birthday ISS: OHB feiert 20 Jahre International Space Station

Unser Anteil an einem Stück Raumfahrtgeschichte

 

 

Mit 20 fühlt man sich endlich erwachsen, hat seine ersten guten und schlechten Lebenserfahrungen gesammelt und die beste Lebensphase noch vor sich. Für die Internationale Raumstation ISS bedeutet der 20. Geburtstag in diesem Monat November ein Universum voller Forschungserfahrungen in der Schwerelosigkeit, an Dingen, die das Leben auf der Erde wertvoller machen, aber uns auch auf dem Weg zu künftigen Missionen Richtung Mond und Mars ein Stück weiter bringen sollen. Rund 400 Kilometer über unseren Köpfen rast mit rund 28.000 Stundenkilometern seit ihrem Start am 20. November 1998 – nur zehn Monate nach Unterzeichnung des internationalen Abkommens aller ISS-Partner – auch eine ganze Menge OHB-Technologie und -Wissen mit der ISS durchs All und fast jedes Jahr kommen neue OHB-Beiträge dazu. Und da Geburtstage sich prima eignen, um einen Blick in die Vergangenheit zu wagen, schicken wir Sie zunächst zurück ins Jahr 2008, als sich das europäische Columbus-Modul auf den Weg machte …

Im Februar 2008 startete die Raumfähre Atlantis vom Cape Canaveral, Florida ihren Flug zur Internationalen Raumstation ISS. An Bord des US-Shuttles befand sich das europäische Forschungslabor Columbus, das drei Tage später an die ISS angedockt wurde. OHB ist das einzige europäische Unternehmen, das an der Entwicklung aller wissenschaftlichen Anlagen für das Columbus-Modul und maßgeblich am ersten biologischen Experiment für die europäische Forschungseinrichtung im All beteiligt ist.

EPM: Das erste Forschungsrack, das im Columbus Modul an Bord der ISS in Betrieb genommen wurde

Die Frage der Wissenschaftler war damals unter anderem: Wie wirkt sich die Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus aus? Dieser und anderen Fragen ging es mit dem medizinischen Forschungslabor EPM, das unter der Leitung der Abteilung Human Spaceflight von OHB für die Europäische Raumfahrtagentur ESA entwickelt und gebaut wurde, auf die Spur. Die Forschungsanlage setzt sich aus mehreren Modulen zusammen, mit denen die Astronauten verschiedene human-physiologische Untersuchungen durchführen können. Eines dieser Module ist „Cardiolab“, ein medizinisches Diagnosesystem mit dem die Anpassung des Herz-/Kreislaufapparats der Langzeitbesatzung an die Bedingungen der Schwerelosigkeit untersucht wurde. Bei einem der ersten EPM Experimente kam auch das Modul „MEEMM“ zum Einsatz, mit dem die Gehirnströme und Muskeltätigkeit der Astronauten an Bord der ISS gemessen wurden. Mittlerweile wurde EPM bereits für 20 unterschiedliche Experimente genutzt. Einige human-physiologische EPM Experimente wurden zur statistischen Absicherung der wissenschaftlichen Ergebnisse jeweils an bis zu zehn verschiedenen Astronauten durchgeführt.  

ISS-Zentrifugen made in Bremen

Doch auch die Orientierung von Pflanzen und dessen Wurzeln unter Weltraumbedingungen trieb die Forscher um Klaus Slenzka, Leiter der OHB-Abteilung Life Science, um. Im Biolab wurden Fragestellungen zum Thema Gravitationsbiologie von Pflanzen und kleinen Organismen untersucht. OHB baute das erste Experiment für das Forschungslabor Biolab auf der ISS.  In dem Experiment mit dem Namen WAICO wurde zunächst das Wurzelwachstum der Acker-Schmalwand-Pflanze bei verschiedenen Stufen der Schwerkraft sowie in Schwerelosigkeit untersucht. Das Konzept von OHB ermöglichte eine vollautomatische Steuerung des Experiments. Dabei beschränkte sich die Aufgabe des Astronauten im Wesentlichen darauf, die 16 Experimentcontainer mit den Pflanzensamen zu bestücken und diese auf Zentrifugen im Biolab Inkubator zu platzieren. Dieser stellt die atmosphärischen Lebensbedingungen mittels eines Lebenserhaltungssystems für die Organismen bereit, während die Zentrifugen die unterschiedlichen Stufen der Schwerkraft bis hin zur doppelten Erdschwere simulieren. Sowohl die Zentrifugen als auch das Lebenserhaltungssystem wurden von OHB entwickelt und gebaut.

Fitnessgerät aus dem Hause OHB: Flywheel

Der ESA-Astronaut Frank De Winne (Belgien) war das erste Crew-Mitglied der Internationalen Raumstation, der das von OHB entwickelte und gebaute Fitnessgerät „Flywheel" benutzte. Das Training auf Flywheel sollte dem Problem des Muskel- und Knochenschwunds bei Astronauten entgegen wirken. Das Flywheel ermöglicht insgesamt acht verschiedene Übungen zum Training der Bein-, Arm- und Oberkörper-Muskulatur. Im Gegensatz zu den meisten bis dahin verwendeten Geräten kann man damit fast alle Muskelgruppen des Körpers abdecken. Flywheel ergänzte die auf der ISS bereits vorhandenen Sportgeräte wie z.B. ein Fahrrad-Ergometer, ein Laufband, und ein Muskel-Trainingsgerät mit hydraulischem Widerstand.

Das Flywheel erreichte die ISS in einem speziellen Stauraum- und Transport-Rack, dem European Transport Carrier ETC. OHB hat das Rack als Hauptauftragnehmer für die ESA entwickelt und gebaut. Im ETC sind die Ausrüstungsgegenstände und Proben der sensiblen wissenschaftlichen Versuche für das europäische Columbus-Modul sicher untergebracht. Über die Hälfte der Gegenstände, die mit dem ETC zur ISS transportiert wurden, kommen von OHB. So z.B. auch eine Hochgeschwindigkeitskamera für das physikalische Forschungslabor Fluid Science Lab FSL und fünf medizinische Geräte für das European Physiology Modules-Labor EPM.

Übrigens: Wer einmal auf dem Flywheel trainieren möchte, kann dies bei OHB in Bremen tun. Dort steht das Sportgerät im Foyer des Firmengebäudes.

Verknotet und verkabelt: ISS-Infrastruktur aus Bremen 

Im Bereich Infrastruktur hat sich OHB zudem bei der Verkabelung von Columbus mächtig ins Zeug gelegt: OHB hat den kompletten Kabelbaum für das elektrische Testmodul (ETM) sowie das Flugmodul (FM) hergestellt. Ein Modell beinhaltet in etwa 1.700 Stecker mit mehr als 12.000 Kontakten. 33 unterschiedliche Kabelsorten mit einer Gesamtlänge von über 30 Kilometern Länge wurden pro Modell verbaut. Die Anfertigung der Kabelbäume und die anschließende Prüfung beider Teile erfolgte bei OHB im Columbus-Reinraum. Die Namensgebung ist daher kein Zufall, denn der OHB-Firmengründer Prof. Manfred Fuchs (†) ist einer der Namensgeber des Columbus-Moduls.

Im Oktober 2007 wurde das zweite Knotenelement für die ISS erfolgreich mit der U.S.-Raumfähre Discovery gestartet. Für das auf den Namen Harmony getaufte Knotenelement 2 kommen die Kabelbäume und die Sekundärstrukturen, die inneren Gerüste und Racks, ebenfalls aus Bremen. Die Verbindungsmodule zwischen den Laboren der ISS werden als Knoten bezeichnet. Der erste Knoten heißt Unity und ist bereits seit Dezember 1998 als zweiter Bestandteil der ISS auf seiner Bahn. Die Knoten ermöglichen den Zugang zu den verbundenen Laboren und darüber hinaus sind sie als Wohn-, Stau- und Lagerräume vorgesehen.

Der Knoten 2 hat neben Schnittstellen für das europäische Columbus-Labor und das japanische Modul eine Andockstation für die Space Shuttle. Seine inneren Strukturen wurden von OHB entwickelt und bei Unternehmen in Bremen und im Bremer Umland gefertigt. Sie enthalten vor allem die Strom- und Datenverteilung und die Lebenserhaltungssysteme (Luftaufbereitung / Kühlung / Heizung / Feuerunterdrückung) für das erweiterte Volumen der ISS in seiner endgültigen Ausbaustufe und für eine Besatzung von sieben Astronauten. Die bei OHB entwickelten und gefertigten Kabelbäume beinhalten sowohl herkömmliche Kupferleitungen für Stromversorgung und Datenverkehr als auch Glasfaserkabel für die Online-Bilddatenübertragung.

Bei dem Automated Transfer Vehicle (ATV), welches für Ver- und Entsorgungsaufgaben der ISS genutzt wurde, war OHB ebenfalls für die Verkabelung zuständig. Für jedes der fünf ATV Flugmodelle hat OHB die ungefähr fünf Kilometer langen Leitungen und Kabel gefertigt, die die ATV-Computer mit den Armaturen, Motoren und Relais verbinden. Auf dem Weg zur ISS war das ATV den Gefahren natürlicher und von Menschen verursachter Partikeln (Meteoriten und Weltraummüll) ausgesetzt. Diese prallen mit einer hohen Geschwindigkeit (normalerweise 10-72 km/s) auf die Oberfläche des ATV auf und können dabei die Primärstruktur sowie die Subsysteme stark beschädigen. Zur Gewährleistung des Missionserfolgs müssen Raumfahrzeuge und dessen Subsysteme daher während aller Aufenthalte in der Erdumlaufbahn mit einem Schutzsystem ausgerüstet werden. Für das ATV wurde dieses Schutzsystem (MDPS - Meteoroid and Debris Protection System) von OHB System entwickelt und qualifiziert.

PK-4 Forschungsanlage sammelt Erkenntnisse über komplexe Plasmen

Im Jahre 2014 startete die europäisch-russische ISS-Forschungsanlage „PK-4“ an der die OHB-Mikrogravitationsabteilung rund um Armin Stettner am Standort Oberpfaffenhofen (vormals Kayser-Threde GmbH) maßgeblich beteiligt ist, erfolgreich Richtung ISS. Als permanente Forschungsanlage im europäischen Forschungsmodul Columbus sollte „PK-4“ neue Erkenntnisse über komplexe Plasmen ermöglichen.

OHB hat zudem zwei Rack-Einschübe für PK-4 entwickelt und gefertigt, um die Stromversorgung, Kommunikation und Datenaufzeichnung sicherzustellen. Außerdem hat OHB die Fertigung und Integration eines Großteils der mechanischen Struktur sowie die Steuerungs- und Bediensoftware des Experiments realisiert. Installiert wurde PK-4 in dem EPM. So gelang es, die komplexen Anforderungen an die neue Plasmakristall-Apparatur in eine weltraumtaugliche Forschungsanlage für die Raumstation ISS umzusetzen.

Plasma macht 99% der sichtbaren Materie im Weltraum aus. Komplexe Plasmen (zusammengesetzt aus Ionen, Elektronen, Neutralgas und Mikropartikeln) können am besten in der Schwerelosigkeit untersucht werden, da dort die Sedimentation der Partikel vermieden werden kann. „PK-4“ erzeugt komplexe Plasmakristalle in einer mit einem Edelgas gefüllten Glasröhre. Die Daten aus den unterschiedlichen Experimenten sollen neue Erkenntnisse liefern über die Physik kondensierter Materie, für verschiedene astrophysikalische Fragestellungen oder künftige Anwendungen in der Halbleitertechnologie oder Medizin.

„PK-4 war eine enge erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut in Garching mit welchen wir auch die beiden Vorgänger Experiment PKE-3 (PKE-Nefedov) und PK-3 Plus entwickelt haben“, sagt OHB- PK-4 Payload Manager Roland Seurig. „Wir haben das PK-4 von Phase 0 an begleitet und sind jetzt auch in der operationalen Phase E fest mit dabei. PK-4 ist zwar ein Europäisch-Russisches Experiment aber offen für die weltweite Wissenschaftsgemeinde.“  

In der Entwicklerschmiede des früheren Kayser-Threde entstand auch ANITA, ein Gasanalysegerät zur Bestimmung der Luftqualität im Auftrag der ESA, welches die NASA zwischen 2007 und 2008 auf der ISS betrieb. Das Instrument kann Spurengase wie CO2 und giftige Gase wie Kohlenmonoxid, Ammoniak, Methanol und chlorierte Kohlenwasserstoffe nachweisen. ANITA brachte der ISS-Crew sogar Glück im Unglück: Das Instrument deckte auf, dass bei einem Experiment giftige Gase austraten. Glücklicherweise waren diese für die Astronauten nicht gesundheitsgefährlich. Derzeit entwickelt OHB im Auftrag der ESA die 2. ANITA Generation.   

Experimentierfreudig auf der ISS: Die Abteilung Human Spaceflight von OHB

Die OHB-Abteilung Human Spaceflight ist nicht nur viel in der Welt unterwegs, sondern auch höchst experimentierfreudig: Denn das Raumfahrtunternehmen OHB hat das Muskelmessgerät MyotonPRO für Experimente auf der ISS qualifiziert. Alexander Gerst misst auf seiner aktuellen Mission mit dem Gerät, wie sich seine Muskelspannung in der Schwerelosigkeit verändert. Wissenschaftler setzen große Hoffnung in die Ergebnisse der Experimente. Sie erhoffen sich, dadurch Muskelerkrankungen oder Sportverletzungen auf der Erde künftig besser diagnostizieren und behandeln zu können. Auch für die Effektivität des Trainings im All sollen die Tests Aufschluss geben. 

Für das VIP-GRAN (Vibration Induced Phenomena in Granular Materials) Instrument, zur Messung von dynamischen und statischen Eigenschaften von granulatförmigen Materialien in der Schwerelosigkeit, entwickelte OHB unter anderem die Elektronik und Software. Und auch auf den Mond wagen sich die Raumfahrtpioniere von OHB vor: Die Abteilung Human Spaceflight arbeitet an einer Studie zur Konzeption einer Mondbasis mit 3D-Drucktechnologien. Das Projekt nennt sich URBAN und hat konkret die Aufgabe, die Machbarkeit und den Implementierungsaufwand für den möglichen Einsatz des 3D-Drucks beim Bau, Betrieb und Wartung einer Mondbasis zu bewerten.

3D ist ebenfalls bei dem Projekt MELT (Manufacturing of Experimental Layer Technology) gefragt:  MELT zielt darauf ab, die ISS als Testumgebung für die Erprobung und den Betrieb eines Druckers zu nutzen, der in der Lage ist, hochleistungsfähige Teile aus technischen Polymerwerkstoffen herzustellen.

Hier mehr Eindrücke aus der Human Spaceflight:

Die Astronautische Raumfahrt ist ein fester Bestandteil unserer Firmenidentität und darauf sind wir unglaublich stolz. 

Dr. Marco Berg, Leitung Human Spaceflight

20 Jahre ISS: Zwischen Stolz und der Frage „Was kommt danach?“

Für OHB war das Wirken an der ISS ein entscheidender Baustein für den weiteren Erfolg der Firma. „Das ist unsere Kinderstube, da kommen wir her“, sagt Dr. Marco Berg. Zu den Entwicklungszeiten von ISS und später Columbus haben 50 Prozent aller OHB-Mitarbeiter an Projekten in Zusammenhang mit der ISS gearbeitet, von denen viele heute entscheidende Rollen in unseren Satellitenprojekten haben. Diese Arbeit habe OHB in der europäischen Raumfahrt viele Türen geöffnet, weiß Berg: „Die Astronautische Raumfahrt ist ein fester Bestandteil unserer Firmenidentität – und darauf sind wir unglaublich stolz.“

Natürlich gibt es längst Pläne für eine neue Basis, die sich auf einer speziellen Umlaufbahn um den Mond bewegen soll: Das so genannte „Gateway“ soll voraussichtlich zwischen 2022 und 2026 in separaten Modulen gestartet werden. Die ISS-Partner Europa, USA, Russland, Japan und Kanada richten ihren Blick in die Zukunft und beschäftigen sich aktuell mit der Planung des nächsten großen Meilensteins in der astronautischen Raumfahrt: einer lunaren, orbitalen Basis als Ausgangspunkt für astronautische Missionen zu Mond oder Mars. Der Arbeitstitel lautet aktuell Lunar Orbital Platform-Gateway, kurz Gateway. OHB wurde dabei für die Beteiligung an einer von zwei parallelen Studien zur Planung des europäischen Moduls mit dem klangvollen Namen ESPRIT (European System Providing Refuelling, Infrastructure and Telecommunications) ausgewählt. OHB bearbeitet als Unterauftragnehmer für den französischen Raumfahrtkonzern Thales Alenia Space wichtige Entwicklungsaufgaben. ESPRIT ist ein Projekt im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA.

Zurück in die Zukunft: Wir sind gespannt, wann das Gateway in Betrieb genommen wird, in dessen Entwicklung unendlich viele auf der ISS erworbene Erkenntnisse einfließen werden und hoffen, dass wir zum 20. Geburtstag von Gateway ebenso stolz auf viele OHB-Projekte blicken können.  

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Die ISS
Die ISS als gemeinsames Projekt der US-amerikanischen NASA, der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, der europäischen Raumfahrtagentur ESA sowie der Raumfahrtagenturen Kanadas CSA und Japans JAXA. In Europa sind die Länder Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Schweden, die Schweiz und Spanien beteiligt. Im Jahre 1998 wurde dazu ein entsprechendes Abkommen für den Bau der Raumstation unterschrieben.

Pionier der Raumfahrt werden: Karriere bei OHB machen.

We. Create. Space. Durchstarten bei einem der erfolgreichsten europäischen Raumfahrtunternehmen.

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