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Eine Kolumne von Marco Fuchs: Gedanken über Zeit und Raum

"Ich glaube fest an die Rocket Factory – ein Rückzug kommt nicht in Frage"

Ohne Raketen keine Raumfahrt. Warum jetzt die Stunde der Microlauncher schlägt.

20. März 2023. Ohne Raketen kann es keine Raumfahrt geben. Das scheint auf den ersten Blick eine banale Erkenntnis zu sein, schließlich weiß schon jedes Kind, das gerne Astronaut werden möchte, dass es in eine Rakete einsteigen muss, um die Erde Richtung Weltall verlassen zu können. Trotzdem beschäftigen wir uns in Europa schon seit geraumer Zeit mit der Frage, wie wir zukünftig Raumfahrt betreiben wollen, und scheinen dabei manchmal eine ins Akademische abgleitende Debatte zu führen, die die harte Realität nicht verschleiern kann: Wenn wir keinen Zugang zum All haben, dann können wir keine Raumfahrt machen. Aus der Perspektive des Satellitenherstellers sehe ich die Probleme, die wir derzeit mit dem eingeschränkten europäischen Zugang zum All haben, in Form von nicht gestarteten Galileo-Satelliten tagtäglich auf dem Hof stehen.

2023 sieht die letzten Ariane-5-Starts

Im März 2023 verfügt Europa noch über zwei Ariane-5-Trägerraketen. Eine wird im April die europäische Jupiter-Mission JUICE starten, die zweite und letzte Ariane 5 soll dann im Juni abheben und dabei die deutsche Telekom-Mission Heinrich Hertz und den französischen Satelliten Syracuse 4B an Board haben. Die Ariane 5 war in den letzten fast 30 Jahren Europas zuverlässiger Lastenesel und war aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und hohen Nutzlastkapazität auch im kommerziellen internationalen Markt erfolgreich. Mit der MT Aerospace AG haben wir den größten deutschen Zulieferer für das Ariane-Programm in der OHB-Gruppe und ich habe die Erfolgsgeschichte der Ariane 5 daher wirklich hautnah miterleben dürfen. Daneben konnte mit der Vega eine zweite europäische Entwicklung für kleinere Nutzlasten etabliert werden. Ergänzt durch die europäisierte Sojus-Rakete verfügte Europa über ein im Verhältnis zum tatsächlichen institutionellen Bedarf komfortables Raketenportfolio. Ganz klar war es damit auch ein politisches Zeichen, dass der unabhängige europäische Zugang zum All jederzeit sichergestellt war. Kooperationen wie die mit der Sojus oder der Start des NASA-Teleskops James Webb mit einer Ariane 5 waren dennoch gelebte und gewünschte Praxis.

Die Trägerrakete ist kein Selbstzweck

Von diesen goldenen Zeiten bleiben uns viele spektakuläre Starts und natürlich erfolgreiche Satellitenmissionen, denn darum geht es ja schließlich primär: die Rakete ist das Transportmittel für den Satelliten oder die Sonde oder in der Königsdisziplin den Menschen. Die Trägerrakete ist kein Selbstzweck, sondern muss in erster Linie den Bedarf ihrer Passagiere decken. Dabei spielt natürlich immer auch der Preis eine Rolle und hier hat SpaceX einen entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen Trägerraketen, da durch den schlanken industriellen Ansatz und die Wiederverwendbarkeit der Falcon-9 der Marktpreis unschlagbar günstig ist. Der nun erwartete erste Orbitalflug der vollständig wiederverwendbaren Super-Schwerlast-Rakete Starship wird diesen Preisdruck nochmal immens erhöhen.

Die Ariane 6 als Nachfolgemodell für die Ariane 5 steckt in einer Krise, bis zum Erststart wird nach meiner Einschätzung noch mindestens ein Jahr vergehen. Dass die Entwicklung neuer Trägerraketen und anspruchsvoller Raumfahrtmissionen sich nicht in enge Zeitpläne zwängen lässt, ist dabei keine europäische Erkenntnis. Überall auf der Welt dauern diese Entwicklungen länger und werden (im Übrigen ganz entscheidend durch den erhöhten Zeitaufwand) teurer. Raumfahrt ist nun mal eine technologisch herausfordernde und sehr risikobehaftete Disziplin, nicht zuletzt liegen darin ja auch der Reiz und die Faszination des Ganzen. Die Ariane 6 wird ihren Dienst als Europas Lastenrakete für große Missionen erfüllen, daran besteht aus meiner Sicht gar kein Zweifel. Dass die kleinere Vega und die Vega-C wegen wesentlicher Bauteile ihrer Oberstufen, die der Hersteller Avio aus der Ukraine bezieht, im Moment ebenfalls nur noch in geringer Stückzahl zur Verfügung stehen, wird von den letzten Fehlstarts der Vega-Rakete derzeit überstrahlt – im Ergebnis steht allerdings auch die kleinere europäische Rakete am Boden.

Gründung der RFA war der richtige Schritt zur richtigen Zeit

Schlägt jetzt die Stunde der Microlauncher? Ja, ich bin überzeugt davon. Und mit den erfolgreichen Tests, die die Rocket Factory Augsburg im letzten halben Jahr absolviert hat, sind wir mit der RFA ONE wirklich auf dem besten Weg zum ersten Testflug in den nächsten Monaten. Parallel zu den technischen Fortschritten bereitet sich auch der institutionelle Markt auf die Microlauncher vor, dies hat im Rahmen der letzten ESA-Ministerratskonferenz im November 2022 die gemeinsame Erklärung der Regierungen von Frankreich, Deutschland und Italien deutlich gezeigt. Dort wurde vereinbart, dass europäische Microlauncher für den Start von ESA-Satelliten zugelassen werden sollen. Das war ein wirklich wichtiger Schritt, um die privat finanzierten Raketen mit institutionellen Aufträgen auch für kommerzielle Kunden und vor allem Investoren attraktiv zu machen. Die Gründung der Rocket Factory Augsburg im Jahr 2018 war die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit, und schon vor fünf Jahren war es das erklärte Ziel, ein wettbewerbsfähiges Angebot für den Zugang zum All zu machen.

Um dies zu erreichen, muss der Kundenkreis möglichst groß und möglichst breit aufgestellt sein und die Rakete muss neben hoher Zuverlässigkeit und Skalierbarkeit der Payloadfähigkeiten vor allem günstig sein. Am Ende muss die Rocket Factory Augsburg eine unabhängige und sich selbst tragende Firma im europäischen Marktumfeld sein. Das war von Anfang an das erklärte Ziel, sonst hätten wir sie direkt als Tochterunternehmen der OHB-Gruppe gründen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Start-Up-Ansatz der richtige Weg ist, um einen neuen und innovativen Blickwinkel auf die Entwicklung und Fertigung von Raketen zu bekommen. Zu diesem Ansatz gehören auch die Finanzierungsinstrumente, die für Tech-Start-Ups auf der ganzen Welt erfolgreich angewendet werden. Natürlich müssen auch Investoren und Partner, die nicht aus der Raumfahrt kommen, ins Unternehmen investieren; das wird schon deutlich, wenn man auf die anderen Microlauncher-Firmen und vor allem den Kundenkreis, den die kleinen Trägerraketen ansprechen wollen, schaut. Ich glaube fest an die RFA und wir werden mit OHB die Entwicklung der Rakete auf jeden Fall auf dem Weg zum Erfolg begleiten. Wir werden uns natürlich nicht aus der Rocket Factory zurückziehen, sondern den eingeschlagenen Weg der Öffnung für weitere Investoren konsequent weitergehen. Ein Rückzug kommt dabei nicht in Frage. An der ursprünglichen Idee, nämlich die Expertise des Satellitenherstellers und die Erfahrungen der Raketenteilefertigung als strategischer Kerninvestor in die RFA einzubringen, hat sich nichts geändert und die Entwicklung des Marktes und die veränderten politischen Randbedingungen in Europa bestärken diese Strategie.


Zur Person

Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.