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Eine Kolumne von Marco Fuchs: Gedanken über Zeit und Raum

Von Autos zu Raketen: Der Henry-Ford-Moment in der Raumfahrt

5. Februar 2021. Ich verfolge immer sehr interessiert, was in anderen Bereichen der Raumfahrt passiert. Ganz besonders spannend finde ich es, die Live-Events der Space-X-Testflüge und -Missionen im Internet zu verfolgen. Gerade war es wieder soweit: ein weiterer Testflug des Starship vom Startplatz in Boca Chica war zu sehen. Die Rakete stieg dabei einige Kilometer in die Luft, drehte sich, um wieder zu landen – explodierte dann aber am Boden.

Amerikaner gehen anders mit Herausforderungen um

Was mich dabei immer fasziniert: wie anders die Amerikaner mit solchen Ereignissen umgehen. Space X hat im Anschluss nämlich von einem sehr erfolgreichen Test gesprochen. Schließlich habe man jede Menge Testdaten gesammelt. Ein Ingenieur meinte trocken, an der Landung müsse man noch arbeiten. Es ist unter anderem diese Grundeinstellung, die die Raumfahrtfirma von Elon Musk so erfolgreich macht. Jeder Fehler wird als Fortschritt, als willkommener Beitrag zur Verbesserung des Bisherigen betrachtet.

An dieser Einstellung müssen wir in Deutschland noch arbeiten. Wir sind als Gesellschaft insgesamt nicht so fasziniert vom Fortschritt, von Innovation. In Ländern wie den USA und China ist das völlig anders. Das habe ich schon beobachtet, als ich vor mehr als 15 Jahren das erste Mal die Fabrik von Space X besucht habe. Damals hatte Elon Musk viel Kopfschütteln in der Branche mit seiner Ankündigung hervorgerufen, eine eigene Rakete mit seinem eigenen Geld zu bauen. Diese Fabrik war das komplette Gegenteil dessen, was zu dieser Zeit als geeignet für die Raumfahrt angesehen wurde. Aber wie wir inzwischen wissen: es hat funktioniert.

Viele große Ideen haben klein angefangen

Wahrscheinlich verfolge ich die Entwicklung von Space X so begeistert, weil ich immer schon ein Fan von großen Ideen war, die klein angefangen haben. Mit OHB war es auch so: vor 40 Jahren war unser Unternehmen eine Garagenfirma mit fünf Mitarbeitern. Heute sind wir eines der drei großen Raumfahrtunternehmen Europas. Und deshalb glaube ich auch fest daran, dass unser Microlauncher-Startup Rocket Factory Augsburg (RFA) erfolgreich sein wird. Auch das ist eine große Idee, die im August 2018 klein angefangen hat. 7 Ingenieure haben sich damals zusammengetan, um einen Microlauncher zu entwickeln. Dieser Tage hat die RFA eine 2.600 Quadratmeter große Halle in Augsburg bezogen. Die Rocket Factory hat nun sozusagen auch ihre „Fabrik“. Dazu kommen weitere rund 1.250 Quadratmeter an Büroflächen.

Raketen müssen in Zukunft in Großserie gefertigt werden

Ich betone das mit der Fabrik aus einem ganz bestimmten Grund: Der Milliardenmarkt „New Space“ wird getrieben von Anwendungsszenarien wie dem Schutz der Erde und der Vernetzung aus dem All durch Schwärme kleiner Satelliten. Diese Anwendungsszenarien sind jedoch abhängig von einer schnelleren und kosteneffizienteren Serienfertigung von Raketen in hoher Stückzahl. Qualitativ hochwertige Satelliten, die in hohen Stückzahlen ebenfalls in Serienfertigung zu einem Bruchteil der Kosten und des Zeitaufwands traditioneller Hersteller produziert werden, vernetzen nicht nur den Planeten in Echtzeit, sondern machen den Weltraum auch deutlich zugänglicher.

Um diese Kosteneffekte zu erreichen, müssen Microlauncher in Großserienfertigung hergestellt werden – wie die Modelle der Automobilhersteller in industrieller Serienfertigung. Das ist sozusagen der „Henry-Ford-Moment“ in der Raumfahrt. Wir übertragen die erfahrenen und bewährten Methoden der Großserienproduktion der deutschen Automobilindustrie auf die Raumfahrtindustrie. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir für die Rocket Factory den Standort Augsburg gewählt: dort befinden wir uns im Herzen der deutschen Kompetenzregion industrieller Serienfertigung der Automobil- und Maschinenbauindustrie.

Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass es bei Entwicklung und Bau eines Microlaunchers nicht mehr um komplexes und teures Over-Engineering geht, sondern darum, kleine und leichte Satelliten kostengünstiger und schneller als bisher in eine erdnahe Umlaufbahn zu befördern und präzise zu platzieren. Der Transfer von Fabrikkonzepten und Fertigungsstrategien aus der klassischen Maschinenbau- und Automobilindustrie ermöglicht dabei, in relativer kurzer Zeit einen großen Effizienzsprung zu erreichen.

Handelsübliche Komponenten in Industriequalität, die auf Weltraumbedingungen modifiziert werden, machen eine Standardisierung und eine modulare Produktionsweise möglich, die auf baugleichen Komponenten und einheitlichen Triebwerken basieren. Dabei spielt der 3D-Druck eine entscheidende Schlüsselrolle: diese Technologie ermöglicht mehr Flexibilität. Mit ihr gelingt es, geometrisch anspruchsvollere und leichtere Teile herzustellen.

Microlauncher-Business ist kein Wettlauf

Ein Botschaft ist mir schließlich noch sehr wichtig: Ich lese in letzter Zeit immer wieder von einem „Race to Space“, das derzeit zwischen den Microlauncher-Startups stattfindet. Meiner Meinung nach sollte es in diesem Zusammenhang nicht um einen Wettlauf gehen. Wichtig ist nicht, als erster an den Start zu gehen. Wichtig ist es, mit dem attraktivsten Preis und dem besten Service auf dem Markt die Kunden zu überzeugen.


Zur Person

Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.